Kommentar Ein Kind ist uns geboren

Es ist wieder so weit. Alle Welt blickt nach London. Blickt auf den königlichen Nachwuchs, das "Royal Baby". Ein Prinz! Tausende drücken sich die Nasen am Zaun von Buckingham Palace platt, die Weltpresse ist versammelt.

Alle Welt blickt nach London? Nein, natürlich nicht. Aber doch erstaunlich viele, so viele, wie zuletzt vielleicht beim tragischen Tod von Lady Di. Das ist jetzt 16 Jahre her. Monarchie bewegt im Guten wie im Schlechten. Warum tut sie das?

Weil sie anziehend wirkt. Weil sie beispielhaft wirkt. In all ihrer Widersprüchlichkeit. Sehnsucht paart sich mit Normalität. Sehnsucht nach diesem Traum von Leben. Sprache ist da verräterisch: Königskinder. Kaiserwetter. Der Kunde ist König, Königsdisziplin, Ballkönig. Ein König, ein Pilsener! Wo König, ist Traum. Auch wenn er der Realität natürlich nicht standhält.

Wenn die Oma täglich Gin Tonic trank, der Gemahl nichts zu sagen hat, der Sohn fremd ging - dann herrscht eben Normalität: Bei Königs geht's zu wie im richtigen Leben. Das ganz Normale haben sich auch die Königseltern, haben sich Kate und William, für ihr Kind gewünscht - es wird ein frommer Wunsch bleiben. Denn die moderne Massenmediengesellschaft wird ihnen keine Ruhe lassen, jeden Schritt verfolgen. Royal Baby? Like it!

Die Sehnsucht nach dem Königlichen in allem ist die Sehnsucht des Menschen nach der heilen Welt; der Welt, in der alles gut geht, es keine Konflikte gibt, es halt traumhaft ist. Eben königlich. Jeder, der dies träumt, weiß, dass er träumt - und träumt noch mal so gern. Deshalb - kleines Berufsgeheimnis - lesen Sie auf Reiseseiten auch so viel von fernen Traumwelten, in die Sie realistischerweise nie reisen werden: Ein Königreich für genau das, was man in dem Moment nicht haben kann. Das kann die Weltreise sein oder auch das Weizenbier.

Zu den Sehnsüchten, die immer ja auch Ziele beschreiben, gehört die Dauerhaftigkeit dessen, was man da erlebt: die Sehnsucht danach, dass es so gut und glücklich bleiben möge, wie es gerade ist. Trotz all ihrer Konflikte und Skandale: Die britische Monarchie erfüllt diese Sehnsucht auf ganz besondere Weise. Sie ist deshalb auch allen anderen Monarchien, kleineren, skandalfreieren wie den skandinavischen, überlegen, von Königshäusern in Ländern ohne Vorbildcharakter, Belgien etwa, ganz zu schweigen.

Und dann das Kind. Ein Kind von mehr als 200 000, die täglich in diese Welt geboren werden. Das eigene Kind, klar, ist das wichtigste, dann das Enkelkind - aber bei Vielen kommt danach ganz schnell das Royal Baby. Man muss sich dieser Gefühle nicht schämen, man kann sich an ihnen erfreuen. Noch besser wäre es, sie sinnstiftend umzulenken: Das Royal Baby hat eine gesicherte Zukunft. Andere Kinder nicht, vielleicht lebt eines ja gleich um die Ecke.

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