Kommentar Ein Lob der Mitte

Gut möglich, dass sich so mancher Grieche in diesen Tagen verwundert die Augen reibt, wenn er nach Deutschland und auf dessen Kanzlerin blickt.

War Angela Merkel mit ihrer unbarmherzigen Härte in der Eurofrage quasi die Nachfolgerin von Adolf-Nazi, erscheint sie jetzt beim Flüchtlingsthema fast wie eine Schwester von Mutter Teresa. An der Beobachtung und an der Verwirrung ist einiges bezeichnend. Zunächst die Übertreibung - und damit kommen auch gleich die Medien ins Boot. Es ist in diesen Tagen fast unmöglich, ein anderes Thema als das Flüchtlingsthema zu behandeln, es in den Medien zu platzieren. Griechenland? EU? Fast sogar Ukraine? War gestern. Jetzt ist Flüchtlingswelle.

Mit all den Übertreibungen, die dazugehören. Deutschland - ein Land, dessen Bürger sich in Hilfsangeboten überbieten, so sehr, dass staatliche Stellen und Hilfsorganisationen schon abwehrend die Hände heben! Danke, wir kommen nicht mehr nach! Vergangenes Jahr war es noch das Deutschland der Pegida-Demonstranten, der Fremdenhasser und Islamistenfeinde, der Ausländer-raus-Rufer. Mehr noch: Vergangenen Monat war es noch das Deutschland der brennenden Asylbewerberunterkünfte und Übergriffe auf Flüchtlinge.

Mal langsam!, möchte man da rufen. Oder: Darf's auch ein bisschen weniger sein? Ein bisschen weniger an Übertreibung, an Schwarz-Weiß-Zeichnung? Das täte bitter not, denn dann käme ein differenzierteres Bild heraus in (fast) all den Debatten, die wie Konjunkturzyklen Medien, Stammtische und alltägliche Gespräche bestimmen. Deutschland war eben in der Griechenland-Frage nie so hart, wie es karikiert wurde.

Deutschland war nie, jedenfalls viel weniger als Ende des vergangenen Jahrhunderts, ein Land, das Flüchtlingen ablehnend, gar abwehrend gegenüberstand. Wenn man so will: Diese Gesellschaft war und ist eine Gesellschaft der Mitte. Es gibt Rechtsextremismus, wohl wahr, aber nicht in einem Ausmaß, das dieser Gesellschaft gefährlich würde. Es gibt große Hilfsbereitschaft, aber die Frage ist, wie lange sie so anhalten kann. Es gibt Gesten der Großzügigkeit, etwa gegenüber den Flüchtlingen in Ungarn, aber auch das kann kein Dauerzustand werden.

Mit dem Lob der Mitte ist deshalb unverzichtbar auch die Anstrengung verbunden, Realismus zu zeigen. Schöne Träume, sagt der Bundespräsident, sind schlechte Ratgeber für politische Entscheidungen. Und deshalb führt trotz aller Euphorie und Überzeichnung kein Weg daran vorbei, die Probleme knallhart zu formulieren und Lösungen zu suchen. Flüchtlingsquoten auf EU-Ebene, wenn es denn hilft. Prüfung der Aufenthaltsberechtigungen, so gut es geht. Abbau bürokratischer Hemmnisse, Einsatz von Langzeitarbeitslosen in der Flüchtlingsbetreuung. Tätige Hilfe also statt emotionaler Übertreibungen.

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