Kommentar Einigung auf Koalitionsvertrag - Auf dem Gabentisch

Die guten Nachrichten vorweg: Es gibt einen Koalitionsvertrag. Damit ist Deutschland einen Schritt weiter auf dem Weg zu einer stabilen Regierungsmehrheit. Alle Signale stehen auf große Koalition, so dass sich der Wählerwille erfüllen dürfte. Gestoppt werden kann die künftige Regierung bekanntlich nur noch von den gut 470.000 SPD-Mitgliedern, die Schwarz-Rot ihren Segen geben sollen. Das ist neu, das ist basisdemokratisch.

Wobei wir bei den schlechten Nachrichten wären. Denn sowohl inhaltlich als auch mit Blick auf das weitere Prozedere bleiben zu viele Chancen ungenutzt. Alles deutet darauf hin, dass diese große Koalition aus Union und SPD kein Bündnis der großen Lösungen, sondern eher ein Hort der mutlosen Klientelpolitik wird.

Zum Ablauf und zur Klarheit: Der SPD-Mitgliederentscheid ist kein Vorbild für Bürgerbeteiligung, er ist ein Dokument politischer Feigheit. Verantwortung wird weggedrückt, die repräsentative Demokratie ausgehöhlt. Mindestens 20 Prozent der Mitglieder müssen teilnehmen, damit der Entscheid gültig ist. Das hieße, im schlimmsten Fall (geringer Beteiligung) entscheidet die Mehrheit von rund 100.000 SPD-Mitgliedern über die politische Zukunft von 80 Millionen Menschen in Deutschland. Das ist absurd.

Und vor lauter Angst, die SPD-Basis könnte ihr eigenes Spitzenpersonal abstrafen, hält man bis zum Votum sogar parteiübergreifend die Zuschnitte der Ministerien und die vorgesehenen Minister geheim. Auch das ist absurd.

[kein Linktext vorhanden]Zu den Inhalten: Die Angst vor der SPD-Basis steckt offenbar auch der Union in den Knochen. Denn sie ließ es zu, dass die Vereinbarungen nicht ansatzweise das Wahlergebnis der Fast-absoluten-Mehrheit der Union einerseits und des zweitschlechtesten SPD-Ergebnisses aller Zeiten andererseits widerspiegeln. Da mag man SPD-Chef Sigmar Gabriel taktisches Geschick bescheinigen. Die Rechnung dafür werden allerdings die Bürger bezahlen. Vielleicht nicht heute, nicht morgen - aber übermorgen.

Denn der rote Faden der Verhandlungen lässt sich an den Ergebnissen ablesen. Man erfüllte sich gegenseitig die Wünsche, damit alle ihre Erfolge verkaufen können. Gesetzlicher Mindestlohn, Mütterrente, Rente mit 63, Signale der Lockerung im Gesundheitswesen durch die Abschaffung des pauschalen Zusatzbeitrages und weitere Änderungen sprechen eine deutliche Sprache.

Das Bild erinnert an eine Familie unterm Weihnachtsbaum. Jeder erfüllt jedem die Wünsche vom Wunschzettel, so dass der Heiligabend und die folgenden Weihnachtstage harmonisch verlaufen und jeder vor seinen Freunden mit den Geschenken angeben kann. Spätestens beim Blick auf den Familien-Kontostand im Januar aber kommt das böse Erwachen. Wer soll das alles bezahlen?

Der Unterschied zur großen Koalition liegt allerdings darin, dass die Familie ihre Kosten selber tragen muss, während man in der Politik auf Steuer- und Beitragszahler zurückgreifen kann. Ach richtig, die Steuern sollen ja gar nicht erhöht werden. Die 23 Milliarden Mehrkosten kommen nämlich woanders her. Woher doch gleich? Die Wirtschaft läuft gut, die Sozialkassen sind voll, könnte die Antwort lauten. Und das stimmt - für den Augenblick.

[kein Linktext vorhanden]Dennoch weiß jeder der Koalitionspartner, dass die aktuelle Politik eine weitere Belastung für die Zukunft aufbaut, die im Augenblick nicht zu interessieren scheint. Das gilt offenbar auch für die vereinbarten Systembrüche: Die Rentenentscheidungen etwa sind politisch gewollt, müssten also durch den Bundeszuschuss und somit über Steuern finanziert werden. Hier aber werden fast ausschließlich die Beitragszahler belastet.

Das ist ordnungspolitisch falsch und gegenüber der jüngeren Generation weder fair noch gerecht. Ein weiterer Systembruch: Der Mindestlohn wird von der Politik festgelegt, nicht von den Tarifpartnern. Die Tarifautonomie aber hat sich bewährt, sie ist ein Garant wirtschaftlicher Erfolge. Warum wird sie jetzt ausgehebelt? Das kann auch den Gewerkschaften nicht gefallen.

Fernab von den fundamentalen und zugleich fragwürdigen Weichenstellungen darf im stellenweise windelweich formulierten Vertrag die PKW-Maut nicht fehlen. Die soll kommen. Irgendwie, irgendwann. Nächstes Jahr. Oder übernächstes Jahr. Mal sehen.

Auf jeden Fall aber sollen alle Menschen in Deutschland ein gutes Leben führen können. So steht es wörtlich in der Präambel des Koalitionsvertrages. Und wer will da widersprechen?

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