Kommentar Einkommen in Deutschland - Unvermögen

In den 70er Jahren, als in Deutschland schon einmal heftig über die Eigentumsverteilung im Land debattiert wurde, gab es ein wohlfeiles Argument: Löst du alle Großeinkommen auf und gibst sie den Armen, erhält jeder eine Mark. Ende der Debatte.

Das Beispiel sollte zeigen: Selbst wenn es gerechter zuginge in diesem Land, wäre für den Einzelnen nichts gewonnen. So simpel kann die Debatte heute nicht mehr geführt werden. Wird sie auch nicht. Denn es kann schon jetzt als sicher gelten, dass das Gerechtigkeitsthema neben dem Euro das ganz große Thema des kommenden Bundestagswahlkampfes sein wird. Aus gutem Grund.

Denn der neue Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung belegt: Die Schere geht immer weiter auseinander. Der Abstand zwischen Reich und Arm wächst und wächst. Zehn Prozent der Haushalte verfügen über 53 Prozent des Gesamtvermögens, vor bald 15 Jahren waren es "nur" 45 Prozent.

Die untere Hälfte der Haushalte hat gerade mal ein ganzes Prozent. Das zu konstatieren, heißt: Hier muss sich etwas ändern, will diese Gesellschaft noch ernsthaft über Gerechtigkeit debattieren.

Das ist übrigens zuerst keine Frage der konkreten Mittel. Das ist zunächst mal eine Frage der Moral. Kein Fußball- oder Fernsehstar, kein Bankenchef "verdient" das Geld, das er verdient. Sondern er profitiert ganz einfach vom Gesetz des Marktes: Wo die Nachfrage groß, das Angebot aber klein ist, steigt der Preis. Das zu kritisieren, hat nun gar nichts mit einer Neiddebatte zu tun.

Immer wenn in Deutschland Diskussionen in diese Richtung beginnen, wird versucht, sie mit diesem Totschlagargument sofort wieder zu beenden. Etwa, wenn der Westen sich über den Soli für den Osten beschwert, Angestellte über Beamtenpensionen klagen.

Nein, es ist hohe Zeit für diese Gerechtigkeitsdebatte. Leistung muss sich wieder lohnen, sagt die FDP, solange es sie (noch) gibt. Richtig. Leistung. Aber wenn die Profiteure aus der Bankenkrise wieder die Banker sind, hat das mit Leistung eben nichts zu tun. Mit "Leistung muss sich wieder lohnen" wird auch gern der Sozialstaat mit seinen vielleicht wirklich überbordenden Leistungen gemeint.

Richtig daran ist nur, dass der, der arbeitet, mehr verdienen muss, als der, der es nicht tut. Warum aber sollte das nicht am oberen Ende der Einkommenspyramide auch gelten? Warum gibt es in Deutschland keine Vermögensteuer, die diesen Namen verdient?

Die Union wäre gut beraten, diese Gerechtigkeitsdebatte, mit der die SPD sicher Wahlkampf machen wird, ernst zu nehmen. Und wenn sie es nur mit Blick auf ihre historischen Wurzeln oder mit Blick aufs Grundgesetz täte. "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen", heißt es da. Das ist Auftrag genug.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Die Demokraten zeigen Zähne
Kommentar zur Situation der AfD Die Demokraten zeigen Zähne
Zum Thema
Ende der Naivität
Kommentar zu russischer Spionage in Deutschland Ende der Naivität
Aus dem Ressort