Kommentar Ende des Kopftuch-Verbots: Ein weises Urteil

Das Kopftuch-Verbot für muslimische Lehrerinnen ist gefallen - endlich. Der bisherige Bann ließ Deutschland nicht nur verklemmt und intolerant aussehen, sondern auch unfähig.

Unfähig, als Gesellschaft in einem kulturell pluralistischen Umfeld mit anderen zusammenzuleben. Das Verbot war und ist einem modernen Zuwanderungsland nicht würdig.

Es gibt nur zwei Argumente, die gegen Kopftücher in Klassenzimmern sprechen - und beide verfangen bei genauerer Analyse nicht. Da sind die vielen, durchaus wohlmeinenden, Kritiker, die im Kopftuch das sichtbarste Zeichen der Unterdrückung von Frauen im Islam sehen, ein chauvinistisches Instrument, um Frauen tagtäglich daran zu erinnern, wie gering geschätzt sie werden. Im säkularen Raum wie einer westlichen, städtischen Schule wirkt das Kopftuch wie eine Provokation.

Wenn man diese Meinung vertritt, muss man nur konsequent sein - und auch Kruzifixe als Zeichen der Religiosität aus dem Klassenzimmer verbannen. 2011 aber wurden kirchliche Kreuze in Schulen von Richtern ausdrücklich gestattet. Kruzifix ja, Kopftuch nein? So viel Ungleichbehandlung, ja, Diskriminierung ist nicht zu rechtfertigen.

Es gibt viele religiöse Praktiken, die die Ungleichheit von Männern und Frauen zementieren. Orthodox-jüdische Frauen müssen ihr Haar, oft kurz geschoren, mit Perücken bedecken. Würde man in Deutschland also konsequent genug sein wollen, auch eine Jüdin aus dem Klassenzimmer zu verbannen? Was wäre mit dem Sikh, der Turban trägt? Was mit einer Nonne?

Viele Kopftuchkritiker haben mit der religiösen Kleidung anderer Glaubensrichtungen kein Problem, messen aber bei Muslimen mit anderem Maß - ausgerechnet bei Muslimen, die ohnehin schon wirtschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt sind.

Bei türkischstämmigen Lehrerinnen haben diese doppelten Standards absurde Konsequenzen. Das Kopftuch-Verbot drängt Muslimas, die in Deutschland studiert haben, Freunde finden und Geld verdienen aus dem Job heraus - und macht damit geleistete Integration zunichte.

Nicht das zu Recht argwöhnisch beäugte Männerkartell des Islams ruiniert die Lebensläufe der Frauen, sondern eine kleingeistige, von uns staatlich verordnete Kleiderordnung. Statt Assimilation von Zuwanderern beschleunigt man so ihre Entfremdung. Diese Praxis verstößt gegen den Primat der Gleichbehandlung und das Recht auf Religionsausübung; sie ist zudem in höchstem Maße unklug.

Letztes - untaugliches - Argument pro Kopftuch-Verbot: Es brauche den sozialen Druck eines solchen Banns im Klassenzimmer, sagen Lehrer, schon um dem Druck konservativer türkischer Elternhäuser entgegenzuwirken. Doch wer sagt, dass nicht auch unverschleierte Muslima radikal rückwärtsgewandte Positionen vertreten? Es zählt, was in ihrem, nicht auf ihrem Kopf stattfindet.

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