Kommentar Ermittlungen gegen Celler Staatsanwalt - Wachsam bleiben

Wenn ein Vertreter der Justiz selbst ins Visier der Ermittler gerät, erregt das zu Recht Aufmerksamkeit - zumal, wenn es sich dabei um einen Vertreter der Anklage handelt.

Ein funktionierender Rechtsstaat gehört zu den Fundamenten unserer Demokratie, wer sich, selbst Teil des Rechtssystems, nicht an die Regeln hält, droht dieses zu untergraben. Andererseits gilt: Allein die Tatsache, dass die Justiz jetzt ermittelt, zeigt, dass der Rechtsstaat funktioniert.

Die Prinzipien dieses Rechtsstaates gebieten es aber ebenso, dass auch in diesem Fall die Unschuldsvermutung gilt. Gegen den Celler Generalstaatsanwalt (und eine weitere Person) wird ermittelt, von Schuld kann noch keine Rede sein. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass in dem ohnehin höchst umstrittenen Prozess gegen den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff immer wieder die Vermutung geäußert wurde, dass Interna aus dem Verfahren und geheime Details aus den Akten gezielt ihren Weg in die Öffentlichkeit gefunden haben. Gleiches gilt für den Fall Edathy, für den ebenfalls der jetzt unter Verdacht stehende Staatsanwalt Lüttig zuständig war.

In jedem Fall wirft die Affäre Lüttig ein Schlaglicht auf die besondere Rolle von Prominentenprozessen. Ob Wulff oder Edathy, Kachelmann oder Hoeness - wann immer ein bekannter Name aus Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft im Mittelpunkt eines Prozesses steht, wird der Kriminalfall auch zu einem Fall für und zu einem Spiel mit den Medien.

Für beide Seiten - Anklage und Verteidigung - geht es darum, die Deutungshoheit zu erringen. Denn die Vorstellung, dass sich Richter in ihrer Urteilsfindung bei großen Fällen der öffentlichen Meinung völlig entziehen können, ist eine Illusion. Nach einer Studie aus dem Jahr 2006 sind gut ein Drittel der Staatsanwälte und ein Viertel der Richter der Ansicht, dass sich Medienberichte zumindest auf die Höhe des Strafmaßes auswirken.

Dazu kommt: Große Fälle können mit ihrer Publikumswirksamkeit große Karrieren machen. Ein paar spektakuläre Verfahren mit prominenten Angeklagten können für einen Provinzstaatsanwalt das Sprungbrett für den Aufstieg sein - ob im Justizapparat oder als Jurist in der Wirtschaft. Ähnliches gilt für den Anwalt.

Darf es da wundern, wenn Anklage oder Verteidigung der Versuchung nachgeben, strategische Informationsverbreitung zu ihren Waffen im Kampf um die öffentliche Wahrnehmung zu machen? Dass sie sich dazu hinreißen lassen, in Zeiten, in denen Quote und Auflage um jeden Preis eine immer größere Rolle spielen, Informationen einzelnen Medien gezielt zuzuspielen, um das Meinungsbild in ihrem Sinne zu beeinflussen?

Nein, wundern darf das nicht. Aber das macht diese Praxis nicht besser. Um so wichtiger ist es, dass der Rechtsstaat, wie jetzt im Fall Lüttig, zeigt, dass er wachsam bleibt.

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