Kommentar zur Wahl in Großbritannien Ernüchternder Erdrutschsieg für Boris Johnson

Meinung | London · Mit diesem Ergebnis haben selbst die größten Optimisten unter den Konservativen gerechnet: Boris Johnson geht als klarer Wahlsieger der Wahl in Großbritannien hervor. „Die Populisten werden mit Siegen belohnt“, kommentiert GA-Korrespondentin Katrin Pribyl.

 Boris Johnson hat sich gegen Jeremy Corbyn durchgesetzt.

Boris Johnson hat sich gegen Jeremy Corbyn durchgesetzt.

Foto: dpa/Thanassis

Boris Johnson hat die Konservativen nicht nur einfach zu einer absoluten Mehrheit im Königreich geführt. Es ist ein Erdrutschsieg für den Regierungschef, ein besseres Ergebnis als selbst die Chef-Optimisten in der Partei erwartet haben, es bahnt sich die wohl größte Mehrheit der Tories seit Margaret Thatcher an. Das Resultat als ernüchternd zu bezeichnen, wäre noch untertrieben. Hier hat ein Mann gewonnen, der wiederholt seine Verachtung für die parlamentarische Demokratie demonstriert hat. Der wie ein Alleinherrscher die Abgeordneten in die Zwangspause schickte, um – ohne Rechenschaft ablegen zu müssen – seinen Willen durchzusetzen. Der kritische Fraktionskollegen feuerte, weil diese Wahrheiten aussprachen. Der sich während des Wahlkampfs weigerte, Details zu seinen Versprechen zu liefern und der sich der Auseinandersetzung mit kritischen Journalisten entzog, die seine Politik auf den Prüfstand stellen wollten. Stattdessen überwogen in Johnsons Kampagne Halbwahrheiten, nicht selten durchsetzt mit dreisten Lügen, die der Polit-Showman unters Volk brachte, angefeuert von der mehrheitlich konservativen, EU-feindlichen Presse. Das Problem? Viele Wähler scheinen es Politikern keineswegs mehr übelzunehmen, wenn diese das Volk belügen. Im Gegenteil: Die Populisten werden mit Siegen belohnt. Dabei tragen sie die Verantwortung dafür, dass das Vertrauen in die politische Klasse so schwer gelitten hat, dass es etliche Menschen mittlerweile leider und fälschlicherweise als Naturgesetz annehmen, von Volksvertretern betrogen zu werden.

Mit Johnsons überwältigendem Sieg steht fest: Der Brexit wird zum 31. Januar 2020 vollzogen. Und auch wenn die Idee des EU-Austritts objektiv betrachtet keineswegs besser wurde über die Zeit, die Scheidung muss nun endlich stattfinden. Die Briten haben nach all den Krisen und dem Chaos der letzten dreieinhalb Jahre praktisch zum dritten Mal über den EU-Austritt entschieden. Zum dritten Mal sprachen sie sich fürs Gehen aus. Erst im Referendum 2016, dann bei der Parlamentswahl 2017, als die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung für Parteien votierte, die mit der Zusage antraten, das Ergebnis zu respektieren und Großbritannien aus der EU zu führen. Und nun ging Boris Johnson in den Wahlkampf mit dem alles überstrahlenden Motto: „Lasst uns den Brexit durchziehen.“ Seine Botschaft verfing. Die Wahl war ein Stellvertreter-Referendum, auch wenn Labour das nicht wahrhaben wollte und versuchte, auf andere Themen wie den Gesundheitsdienst zu setzen.

Johnson genießt keineswegs jene Popularität, die das Wahlresultat vermuten lässt. Vielmehr verabscheuten die Briten den altlinken Oppositionschef Jeremy Corbyn nur noch mehr, Stichwort Pest oder Cholera. Johnson galt als das kleinere Übel. Unter Corbyn präsentierte sich die Labour-Partei seit langem in einem desaströsen Zustand. Er mag bei der Wahl 2017 besser abgeschnitten haben, als alle Beobachter zunächst vorhersagten. Und doch, der Sozialist hat schon damals verloren. Diese Tatsache blendeten seine Cheerleader leider völlig aus. Sie verschanzten sich in den letzten Jahren lieber fernab der Realität in einer Blase, in der sie den Vorsitzenden wie einen Messias feierten. Alle Stimmen der Vernunft, die Zweifler und Kritiker wurden als verkappte Tories verschmäht, aussortiert oder als Miesepeter beschimpft.

Boris Johnson hat es verstanden, die Frustration der vom Gezerre um den Brexit zermürbten Menschen einzufangen. Mit eingängigen, wenn auch falschen Versprechen stillte der Premier ihr Bedürfnis nach Klarheit, bediente ihre Bitte, das Thema endlich vom Tisch zu nehmen. Dass das eine gefährliche Illusion ist, dürften die Briten im nächsten Jahr erkennen, wenn die Streitereien über einen künftigen Handelsdeal mit der EU beginnen. Das Dauerthema wird das Dauerthema bleiben – und zwar auf viele Jahre hinaus.

Diese Botschaft auszusenden, wäre ein Leichtes gewesen. Doch die pro-europäischen Kräfte haben völlig versagt. Und sie haben sich in der Unfähigkeit, an einem Strang zu ziehen, selbst ihre Hoffnung zerstört, das von Ideologien beflügelte Projekt Brexit doch noch stoppen zu können – oder zumindest einen weniger harten Bruch mit der Staatengemeinschaft herbeizuführen. Ein „hung parliament“, eine Hängepartie im Unterhaus, hätte den Weg geebnet zu einem zweiten Referendum mit der Option des Verbleibs in der Staatengemeinschaft.

Die EU-freundlichen Liberaldemokraten wollten diese Abstimmung, fühlten sich nach dem Erfolg bei den Europawahlen auf einem Höhenflug. Dann begingen sie etliche strategische Fehler. Zu den größten gehörte die Ankündigung, den Brexit ohne erneute Volksabstimmung schlichtweg abblasen zu wollen, indem sie den Ausstiegsantrag in Brüssel zurückziehen wollten. Das wäre undemokratisch gewesen – und kostete nun Parteichefin Jo Swinson ihren Sitz. Sie hat aggressiv gegen Labour gewettert anstatt Allianzen zu schmieden, um so zu verhindern, dass das Votum der Pro-Europäer geteilt wird. Wäre es den Libdems wirklich darum gegangen, den Brexit zu verhindern, hätten sie auf ein Bündnis hingearbeitet. Das Parteiwohl übertrumpfte das Gemeinwohl, man kennt das mittlerweile aus dem Königreich.

Und so bleibt Boris Johnson als Premierminister in der Downing Street. Die Briten werden leider einen hohen Preis dafür bezahlen. Aber sie wussten, wofür und für wen sie hier gestimmt haben.

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