Kommentar EU-Gipfel - Eine Chance

Sie kommen aus Deutschland, Polen, Italien und Luxemburg: die vier neuen bzw. schon benannten Spitzenvertreter der EU. Und wenn demnächst auch die einflussreichen Jobs des Währungskommissars sowie der Eurogruppe besetzt sind, kämen noch Vertreter aus Spanien und vielleicht Frankreich hinzu.

Dieses Bild zeigt mehr als jeder andere biografische Vergleich der Führungsfiguren, dass der Gemeinschaft durchaus so etwas wie ein Kunststück geglückt ist: kleine und große Staaten, Ost und West, Männer und Frauen - alle sind vertreten. Wer vorher nach neuen Gesichtern gerufen hat, sollte sich jetzt nicht über Neulinge beschweren.

Europa braucht nicht nur einen personellen, sondern vor allem einen programmatischen Wechsel. Ob Ukraine-Krise oder Energieversorgung - viele Themen sind nicht neu, aber seit Jahren ohne wirkungsvolle Antwort geblieben.

Das ist fatal, weil man seine Erfolgsbilanz statt auf großen Lösungen auf Banalitäten wie harmonisierten Staubsaugern oder Adipositas-Kampagnen aufgebaut hat. Das mag ja verbraucherpolitisches Beiwerk sein, aber es ist zu wenig, um zu dokumentieren, dass die Union auch Lösungen finden kann.

Daran wird man dieses neue Führungspersonal messen müssen. Natürlich provoziert die neue Außenbeauftragte die Frage, ob man hier nach bewährtem Vorbild ein politisches Leichtgewicht gewählt hat, das den starken nationalen Außenministern nicht ins Gehege kommt.

Und auch Donald Tusk wird viel nachgesagt, aber sicherlich nicht die Durchsetzungskraft, 28 Staats- und Regierungschefs an die kurze Leine legen zu können. Aber das ist möglicherweise kein Nachteil, weil ein auf Selbstdarstellung konzentrierter Amtsinhaber permanenten Streit mit den Hauptstädten provozieren würde.

Die EU ist, so wie sie konstruiert wurde, kein selbstständiges Gebilde mit eigener Politik, sondern ein gemeinsames Konstrukt der unabhängigen Mitglieder, die das Sagen haben. Ihnen muss dienen wollen, wer in der Gemeinschaft Verantwortung übernimmt. Ob Tusk und Mogherini, aber auch Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident und Martin Schulz (als wiedergewählter Parlamentschef) diesen Auftrag verstanden haben und erfüllen, wird man sehen müssen. Eine Chance haben sie verdient.

In der EU aber muss nun die Zeit des Stillstandes zu Ende sein. 26 Millionen Arbeitslose, außenpolitische Krisen in vielen Teilen der Welt, ökonomische Schwierigkeiten in den überschuldeten Staaten - es bleibt keine Zeit mehr, sich noch länger mit sich selbst zu beschäftigen.

Noch vor wenigen Monaten hat man den Bürgerinnen und Bürgern im Wahlkampf versprochen, dass diese Union in der Lage ist, Herausforderungen zu bewältigen, die die Mitgliedstaaten alleine nicht schaffen. Es wird höchste Zeit, diese Zusage einzulösen. Klimaschutz, Energiesicherheit, Beseitigung der Hemmnisse auf dem Binnenmarkt, Bekämpfung der Fluchtursachen - die Aufgabenliste ist lang und voller Hindernisse.

Ob das Führungspersonal an der Spitze ein Glücksgriff oder ein peinlicher Schachzug politischer Strategen war, müssen sie nun beweisen. Das gilt für die Neuen ebenso wie für die Erfahrenen.

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