Kommentar Europa im Urteil seiner Bürger - Die Quittung

Wäre Europa nur etwas für Sonntagsreden, ein Traum für gutmeinende Spinner, man könnte über die schlechten Noten hinweggehen, die der Bürger dem Staatenverbund gibt. Doch Europa ist harte Realität - und das erklärt auch seinen Ansehensverlust. Dieser Verlust ist dramatisch.

Wenn in den Kernländern der EU keine Mehrheit mehr hinter dem Projekt steht, ist es dadurch mindestens so gefährdet wie durch die Eurokrise. Denn auf Dauer kann kein Land gegen den Willen seiner Bevölkerung regiert werden. Und: Es ist kein Ende der Abwärtsspirale in Sicht. Vergangenes Jahr zählten noch 60 Prozent zu den EU-Befürwortern, aktuell sind es nur noch 45 Prozent.

Dennoch trifft die Kritik der Bürger die Falschen. Denn die Fehler, die die aktuelle Krise verursacht haben, die dazu führen, dass die Bürger pessimistisch in die Zukunft schauen, sind hausgemacht, nicht Brüssel-oktroyiert. Das beginnt - schlechte Sitte aller nationalen Politiker egal wo - damit, dass die europäischen Realitäten, dass "die da in Brüssel" schlecht geredet werden, und das seit Jahrzehnten.

Erfolge werden in Bonn (heute Berlin) oder in Paris errungen, Fehler in Brüssel gemacht. War eigentlich klar, dass sich das irgendwann rächen würde. Auch der Zeitpunkt war absehbar: Es war der Moment, in dem der Bürger die Folgen einer verfehlten Politik spürt. Da geht es nicht mehr um den Krümmungsgrad von Gurken oder Bananen, da geht es beispielsweise darum, dass auch die Deutschen dafür zahlen müssen, dass die Griechen wieder auf die Beine kommen.

Die Fehler, die zu der Wirtschafts- und Finanzkrise in einzelnen EU-Staaten geführt haben, sind eindeutig zu identifizieren: fehlende Reformen, völlig unsolide Haushaltspolitiken etwa. Ein Land, das in diesen Punkten besonders hervorsticht, ist Frankreich. Und nirgendwo sonst erzielt EU-Europa so schlechte Noten. Ein perfektes Ablenkungsmanöver von den eigenen Versäumnissen.

In der Krise gesellten sich dann Fehler auf der europäischen Ebene hinzu, und da kommt zentral die deutsche Regierung unter Angela Merkel ins Spiel. Das Rettungsprogramm aus der Krise bestand und besteht - allen Lippenbekenntnissen der letzten Wochen zum Trotz - nur aus Sparen, Sparen, Sparen! Wie sollen Regierungschefs von Ländern, in denen die Jugendarbeitslosigkeit die 50-Prozent-Marke erreicht hat, mit einem derart eindimensionalen Programm klarkommen?

Anders gesagt: Europa muss sich endlich in einem umfassenden Sinne der Sanierungsarbeit stellen, so wie jeder einzelne Staat auch. Dass die Bundesrepublik hier besser dasteht als andere EU-Mitglieder, weil sie ihre Hausaufgaben gemacht hat, macht die Lage hier erträglicher, den Abstand zum und die Unbeliebtheit im Ausland aber größer. Das wird sich erst ändern, wenn die EU ihren Kurs ändert. Der Bürger würde es ihr danken.

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