Kommentar Europa nach den Wahlen - Die Spar-Quittung

Es hat schlechte Tradition in Deutschland, dass die Bedeutung von Wahlen dramatisiert wird. Da ist der Untergang des Abendlandes, wahlweise Europas, meist nicht fern, früher drohte der Einmarsch der Russen, heute versinkt ein Land in Schuldenkrisen, wenn die falsche Partei gewinnt.

Solche Übertreibungen werden der Lage nicht gerecht, auch nicht am Tag nach der krachenden Wahlniederlage der bisher tragenden Kräfte in Griechenland, auch nicht nach der Abwahl des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy.

Griechen und Franzosen haben abgewählt, wonach ihnen nicht mehr der Sinn stand. Den Griechen geht der rigide Sparkurs, den ihnen die anderen Eurostaaten aufgedrückt haben, viel zu weit - und das ist sehr verständlich, wenn man sieht, wie sehr der normale Bürger darunter zu leiden hat: Er wird abgestraft für Fehler, die andere begangen haben. Er fühlt sich ungerecht behandelt, obwohl er einsieht, dass das Land nicht so weiter geführt werden darf, wie es bisher geführt wurde. Die Konsequenz: Kleine, auch radikale Parteien machen eine Regierungsbildung schwierig.

Aber gemach: Es bleibt auch jetzt dabei, dass die führenden Parteien kein Zurück zur Drachme, keinen Weg aus der Eurozone wollen. Aber sie brauchen Partner und diese Partner werden Bedingungen stellen, die Athen nach Brüssel weiterreichen wird. Kern: Die Sparauflagen wollen neuverhandelt werden. Griechenlands Partner werden das nicht mitmachen.

Der Ausweg, der sich anbietet, verbindet das griechische mit dem französischen Wahlergebnis: Dem Sparpakt für Europa wird ein Wachstumspakt hinzugefügt werden müssen. Und damit die Politik etwa in Berlin nicht erklären muss, warum sie jetzt mitmacht, was sie vor Monaten noch abgelehnt hat, wird kräftig umdefiniert. Das Wachstumspaket, das man in Europa schnüren wird, darf deshalb nicht Konjunkturpaket heißen, weil das zu sehr nach neuen Schulden klingt.

Tatsächlich steht Euro-Europa vor einer Kurskorrektur, die nicht nur linke Politiker europaweit für überfällig halten, sondern eben auch viele Experten. Nur mit einem Sparkurs - an dem in der Tat nicht gerüttelt werden darf - kommen viele Staaten der Eurozone nicht wieder auf die Beine. Es braucht einen zweiten Marshall-Plan, einen Plan für den Wiederaufbau von Teilen Europas.

Denn, auch das ist die Lehre des vergangenen Sonntags: Werden die Bürger überfordert, wenden sie sich ab. Deutschland hält sich viel auf seine soziale Symmetrie zu gute. Sie ist nicht nur in Griechenland, auch von Angela Merkel, verletzt worden. Dafür hat auch sie jetzt die Quittung erhalten. Der Kampf für Stabilität in Europa ist seit Sonntag schwieriger geworden, Aber wenn er jetzt fantasiereicher und gerechter fortgesetzt wird, wird die Aussicht ihn zu gewinnen größer, nicht kleiner.

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