Kommentar Evangelische Kirche - Herkulesaufgaben

Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient. Wenn dieses Bonmot eines französischen Diplomaten auch für die 23 Millionen deutschen Protestanten gilt, dann hat es auf der Bremer Synode der Evangelischen Kirche mit dem neu gewählten Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm und seiner Stellvertreterin Annette Kurschus eine gute "Regierung" erhalten - gewählt mit einer Mehrheit, um die jeder Politiker sie beneidet.

Beneidenswert ist die Aufgabe, vor der die beiden in den nächsten sechs Jahren stehen, allerdings nicht. Da ist zum einen im Jahr 2017 der fünfhundertste Jahrestag der Reformation, für das die EKD noch immer kein zündendes Flugblatt verfasst hat, das die Öffentlichkeit fasziniert. Waren Luthers Traktate die "Sturmtruppen der Reformation", so hätte der Reformator mit den nun in Bremen diskutierten und verabschiedeten Papieren weder seine Zeitgenossen in Unruhe versetzt, noch Ärger mit dem Papst bekommen. Hat die Evangelische Kirche es verlernt, dem "Volk aufs Maul zu schauen"?

Landesbischof Bedford-Strohm ist nicht nur ein tiefschürfender Theologieprofessor, sondern auch ein begnadeter Redner. Präses Kurschuss steht für all die Frauen in kirchlicher Verantwortung, ohne die die Kirche arm wäre.

Und so setzen nicht nur die Protestanten große Hoffnungen in ihren neuen Rat. Der muss nicht nur aus dem Reformationsjubiläum mehr als ein Event machen, sondern auch den sich in Strukturdebatten verzettelten und von hohen Austrittszahlen geplagten, dahindämmernden Protestantismus zu neuen Ufern führen.

Das ist eine Herkulesaufgabe. Aber sie muss endlich angepackt werden. Das Land ist auf Menschen angewiesen, die sich aus ihrem evangelischen, katholischen, orthodoxen oder selbstverständlich auch aus ihrem islamischen Glauben heraus für andere engagieren.

"Im Bewusstsein vor Gott und den Menschen", so beginnt die Präambel des Grundgesetzes. Sie muss wieder Leitschnur für die Gesellschaft werden. Und das kann sie nur, wenn es den Glaubensgemeinschaften gelingt, zum Stachel im Fleisch der säkularen Gesellschaft zu werden. Die Evangelische Kirche hat in Bremen eine starke neue Leitung gewählt, die die 23 Millionen Protestanten verdient haben.

Der neue EKD-Rat muss die Kirche leiten, Anstöße geben, den Glauben glaubwürdig vertreten, überzeugende Leitplanken für eine sich selbst genügsame Gesellschaft aufstellen. Dann werden auch wieder Menschen in die Kirche der Reformation eintreten, die vor 500 Jahren die Grundsteine unserer modernen Gesellschaft gelegt hat.

Zugleich aber muss der neue Rat der EKD geschwisterlich auf die katholische Kirche zugehen, damit endlich aus der Vielzahl der Kirchen wieder eine Kirche wird. Eine Herkulesaufgabe fürwahr. Aber eine, die sich um der Menschen Willen lohnt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Die Lage ist ernst
Kommentar zur islamistischen Bedrohung Die Lage ist ernst
Euphorie im Anflug
DFB-Team überzeugt gegen Frankreich Euphorie im Anflug
Zum Thema
DFB-Team mit neuem Spirit
Kommentar zur Fußball-Nationalmannschaft DFB-Team mit neuem Spirit
Kosten über Sicherheit
Kommentar zum Einsturz der Brücke in Baltimore Kosten über Sicherheit
Assange und das Recht
Kommentar zur aufgeschobenen Auslieferung Assange und das Recht
Der Kaiser ist nackt
Kommentar zu Donald Trump Der Kaiser ist nackt
Aus dem Ressort
Abpfiff
Kommentar zum Rücktritt von DFB-Präsident Niersbach Abpfiff