Kommentar zur Änderung des Wahlrechts Falsche Egoismen

Meinung | Berlin · Den Parteien im Bundestag läuft die Zeit davon, um eine weitere Aufblähung des Parlamentes noch abzuwenden. Doch die Abgeordneten liefern ein wahres Armutszeugnis ab, kommentiert unser Autor.

 Die Sitzungen der Bundestagsfraktionen finden aktuell größtenteils in Video-Schaltkonferenzen statt.

Die Sitzungen der Bundestagsfraktionen finden aktuell größtenteils in Video-Schaltkonferenzen statt.

Foto: picture alliance/dpa/Michael Kappeler

Wenn jeder nur an sich denkt, ist ja an alle gedacht – wie krachend falsch diese Logik ist, lässt sich beim Thema Wahlrecht im Deutschen Bundestag besichtigen. Alle wissen, dass die Bürger allmählich die Geduld verlieren, welches Armutszeugnis die Abgeordneten bei dem Versuch abliefern, den schon 2017 um 111 Mandate aufgeblähten Bundestag nicht erneut anwachsen zu lassen. Statt 598 hat das Parlament derzeit 709 Abgeordnete. Wenn nichts geschieht, sind als Ergebnis der Bundestagswahlen im nächsten Jahr 800, ja 900 möglich.

Schon beim ersten Zusammentritt hatte sich der Bundestag vorgenommen, dem ungehemmten eigenen Wachstum einen Riegel vorzuschieben. Dass zweieinhalb Jahre später nichts geschehen ist, liegt nicht daran, dass es keine Ideen gäbe. Mindestens ein Dutzend Vorschläge liegen auf dem Tisch. Sie lassen mal die einen, mal die anderen stärker bluten oder gehen nonchalant über Wahlgrundsätze hinweg, wie sie seit sieben Jahrzehnten zum Selbstverständnis dieser Demokratie gehören. Das Grundübel ist jedoch, dass die Kompromissfähigkeit auf der Strecke bleibt.

Es gäbe einen Kompromiss: Ein klein wenig die Zahl der Wahlkreise vermindern und ein klein wenig die Zahl der Ausgleichsmandate verringern. Doch den ersten Teil will die CSU unbedingt verhindern, weil sie dann weniger Abgeordnete bekäme. Den zweiten Teil lehnen FDP, Linke und Grüne ab, weil sie dann ebenfalls auf Mandate verzichten müssten.

Bei diesem Problem wird das Bewusstsein vom Sein bestimmt. Ursprünglich kannte der Bundestag keine Ausgleichsmandate. Wenn eine der Volksparteien mal ein oder zwei Sitze in einem Bundesland über die Erststimmen vor Ort mehr bekommen hatte, als es ihrem Anteil landesweit an den Zweitstimmen entsprach, gab es halt vorübergehend mal ein paar mehr Abgeordnete. Das stabilisierte die Mehrheiten. Rot-Grün wäre 1998 ohne diese Überhangmandate wohl nicht zustande gekommen. Kein Problem für die Grünen damals. Doch es ist ein Problem für die Grünen heute, wenn bis zu 15 Überhangmandate nicht mehr ausgeglichen werden. Sie wollen allein die Direktmandate kappen.

Das Wahlrecht ist auf einen Mix von Erst- und Zweitstimmen angelegt. Solange alle Seiten auf ihren  Extrempositionen beharren, wird der Bundestag weiter anschwellen. Das beschädigt das Vertrauen der Bürger in diesen Parlamentarismus nachhaltig.

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