Kommentar: Familienpolitik - Systemwechsel

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück will das gesamte System der familienpolitischen Leistungen auf den Prüfstand stellen. Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) möchte "den bunten Strauß von Maßnahmen" auf seine Wirksamkeit hin anschauen.

Und die FDP-Politikerin Sibylle Laurischk, Vorsitzende des Bundestags-Familienausschusses, hat den Eindruck, "dass wir mit vielen Leistungen Gutes tun wollen, aber nicht wirklich erreichen".

All das zeigt zweierlei: Zum einen: Gut sieben Monate vor der Bundestagswahl ist die Frage, wie eine gute Familienpolitik aussieht, aktueller denn je. Der Themenbereich, der für Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder noch "Gedöns" war, ist zu einem der wichtigsten, womöglich wahlentscheidenden geworden. Das ist gut so.

Und zum anderen: Die Diskussion um den Zwischenbericht der Regierungsberater scheint die Diskussion um die Inhalte anzufachen. Also darüber, welche Effekte die 156 ehe- und familienbezogenen Einzelmaßnahmen haben, welche noch zeitgemäß und welche sogar kontraproduktiv sind.

Auch das ist positiv. Im Vorfeld der Bundestagswahl dürfte das spannende Debatten in den Parteien und dann natürlich im Wahlkampf selbst auslösen.

Ein Befund steht dabei schon fest: Die Fürsprecher der bisherigen Regelung mit Kindergeld, Ehegattensplitting, beitragsfreier Mitversicherung von Ehepartnern und demnächst auch noch dem Betreuungsgeld - sie dürften es schwer haben. Denn was ist dabei herausgekommen?

Die Schere in der Gesellschaft geht immer weiter auf. Kinder aus ärmeren Familien oder jenen mit ausländischen Wurzeln haben es im Vergleich zu Altersgenossen in den 60er und 70er Jahren immer schwerer aufzusteigen. Frauen, die oft besser ausgebildet sind als Männer, verdienen im Schnitt wesentlich weniger in ihrem Beruf - und bleiben vielfach in der "Teilzeitfalle" hängen.

Dass die Geburtenrate mit derzeit 1,39 Kindern pro Frau weit unter den vergleichbaren Ländern Europas liegt, ist zudem allgemein bekannt.

Nun ist an diesem Wert nicht allein abzulesen, ob die 200 Milliarden Euro an familienpolitischen Leistungen sinnvoll oder weniger sinnvoll angelegtes Geld sind. Dafür, ob eine Gesellschaft familien- oder gar kinderfreundlich ist, spielen andere Dinge eine Rolle.

Zum Beispiel die Frage der Befristungen. Wenn ein Arbeitgeber einer Frau - oder einem Mann - einen befristeten Vertrag nach dem anderen gibt, darf sich die Gesellschaft nicht wundern, wenn die Lust aufs Kind hinten angestellt wird.

Zum Beispiel der zunehmende Druck in der Gesellschaft. Oft genug müssen Arbeitnehmer nur noch funktionieren, wird ihnen Kreativität genommen. Vielfach reicht auch ein Beschäftigungsverhältnis allein nicht aus, um über die Runden zu kommen. Zum Beispiel die Betreuungsmöglichkeiten. Da hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Und dennoch: Es fehlt gerade in den Regionen, in denen die Bevölkerung wächst, wie hier im Rheinland, an Plätzen für kleine Kinder.

Und da kommt wieder das Geld ins Spiel. Würde man etwa das Ehegattensplitting für Kinderlose abschaffen und die Mittel stattdessen in den Ausbau der Kindertagesstätten oder der Ganztagsschulen stecken, käme das vor allem Kindern zugute. Das könnte ein Anfang für einen Systemwechsel sein.

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