Kommentar zu Angela Merkel Frei, zu regieren

Meinung | Berlin · Angela Merkels Kanzlerschaft ist nach 15 Jahren so ungefährdet wie noch nie. Und das, obwohl sie ihre größte Krise bekämpfen muss: die Corona-Pandemie. Die Kanzlerin hat sich selbst von Zwängen befreit, kommentiert unsere Autorin.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf der traditionellen Sommer-Pressekonferenz.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf der traditionellen Sommer-Pressekonferenz.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Angela Merkel würde es wieder so machen. Sie würde, wie sie sagt, eine Flüchtlingskrise wie 2015 auch heute nicht „auf dem Rücken der Menschen“ austragen. Das bedeutet, dass die Kanzlerin die Grenzen auch jetzt nicht schlösse, wenn Zehntausende davor stünden. Für sie war und ist es eine Frage der Humanität, Bitten um Asyl anzuhören und dann zu entscheiden, ob und wie man hilft.

Die Polarisierung, die Merkel mit ihrem Satz „Wir schaffen das“ vor fünf Jahren in Deutschland auslöste, hat sich gelegt. Die Zahl der neu ankommenden Flüchtlinge ist deutlich zurückgegangen und das Abendland ist nicht untergegangen. Aber es gibt noch genügend Probleme mit der Integration der vielen Menschen, für die Deutschland das Sehnsuchtsland war. Etliche von ihnen sprechen die Sprache nicht, leben von Hartz IV, können sich nicht anpassen oder wehren sich gegen ihre Abschiebung.

Dennoch ist Merkels Kanzlerschaft nach 15 Jahren so ungefährdet wie noch nie. Und das, obwohl sie eine noch größere Krise bekämpfen muss: die Corona-Pandemie. Diese lenkt jedoch von Problemen ab, die die große Koalition ohne die historische Kraftanstrengung zur Rettung der Wirtschaft und des sozialen Zusammenhalts hätte meistern müssen. Allem voran den Klimawandel, gegen den nicht ein Bruchteil dessen unternommen wurde, was plötzlich bei Corona möglich war. Und nicht zuletzt die Sollbruchstellen dieses Bündnisses von Union und SPD. Fast schon vergessen, dass es gar nicht lange her ist, als dieser Koalition wöchentlich ein vorzeitiges Scheitern prognostiziert wurde.

Die Kanzlerin hat sich mit ihrem frühen Verzicht auf eine weitere Kanzlerkandidatur selbst von Zwängen befreit. Kein Druck mehr, den nächsten CDU-Parteitag glanzvoll zu überstehen, keine Erwartungen mehr an sie, Konkurrenten im Wahlkampf kleinzukriegen. Sie kann sich einfach aufs Regieren konzentrieren. Für eine Frau, die in Konfliktsituationen einen präsidialen Stil pflegt, ist das ein Geschenk. Dazu kommt, dass Bürger gnädiger mit ihr werden, je näher der Abschied aus der Politik rückt. Was auch mit der Verunsicherung zu tun hat, dass nicht klar ist, wer das schwere Erbe antreten und wie es weiterentwickelt werden wird.

Dazu gehören der Klimaschutz, die Digitalisierung und der Zusammenhalt der Gesellschaft. In allen drei Bereichen dürften große Lücken klaffen, wenn Merkel ihr Amt übergibt. Mag sie noch so befreit auftreten, die verbleibende Zeit wird hier kaum für nachhaltige Lösungen reichen. Und in die Verlängerung wird Merkel nicht gehen. Einen besseren Abschluss als mit ihrem international anerkannten Krisenmanagement auch in Corona-Zeiten kann sie auch nicht finden.

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