Kommentar zur Lage der SPD Die gestresste Partei
Meinung | Bonn · Die Lage der SPD ist alles andere als komfortabel. Sie regiert zwar, steht aber von allen Seiten unter Druck. In diesen Zeiten kann der Bundeskanzler keine Steuer- und Finanzaffäre brauchen.
Macht kommt von machen. Die SPD sollte sich damit auskennen. Von den vergangenen 24 Jahren haben die Sozialdemokraten seit 1998 tatsächlich 20 Jahre im Bund mitregiert oder den Bundeskanzler gestellt. Die Union kommt im selben Zeitraum auf 16 Jahre – bis zum selbst bestimmten Abgang von Angela Merkel. Nun steht mit Olaf Scholz wieder ein Sozialdemokrat an der Spitze der Bundesregierung. Doch zur Euphorie gibt es kaum Anlass. Das Ampel-Bündnis unter SPD-Führung startete unter denkbar schwierigen Bedingungen. Die Pandemie ist noch lange nicht besiegt, der nächste Corona-Winter mit all seinen Nebengeräuschen ist bereits absehbar. Und dann verschob der Ukraine-Krieg nahezu alle wesentlichen Koordinaten der deutschen und europäischen Politik.
Die SPD wird für ihre Führungsrolle in der Ampel nicht belohnt. Ihr Wert fiel zuletzt auf 17 Prozent, der schwächste Wert seit mehr als einem Jahr. Die Debatte über Exporte schwerer Waffen in die Ukraine führt Teile der SPD in einen Gewissenskonflikt und auch längere Atomlaufzeiten sind nicht ihr Lieblingsthema. Während sich die Grünen als Antreiber in dieser Koalition profilieren und alte Positionen mit kühlem Pragmatismus abräumen, muss sich die SPD auch noch mit Alt-Kanzler Gerhard Schröder rumärgern. Nun wird an diesem Montag eine Entscheidung im Parteiordnungsverfahren erwartet – womöglich mit einem Ausschluss von Schröder aus der SPD, weil sich dieser einfach nicht von seinem Freund Putin lossagen will. Es wäre ein Totalschaden für die SPD – und mit Abstrichen auch für das Land.
Und dann ist da noch der ungeklärte Fall des früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs, in dessen Schließfach Cum-Ex-Ermittler rund 200.000 Euro in bar gefunden haben. Kahrs soll daran mitgewirkt haben, dass es zu Treffen zwischen dem damaligen Hamburger Bürgermeister Scholz mit Gesellschaftern der Warburg-Bank gekommen sei. Es könnte der Stoff sein, der Scholz in Bedrängnis bringt. Ein Kanzler braucht in diesen Kriegs- und Krisenzeiten einen freien Rücken, keinesfalls eine Steuer- und Finanzaffäre.
Die SPD regiert, sie führt diese Regierung – doch es ist nicht komfortabel. Die Grünen machen Druck, die FDP drängt, die Bürger wollen Schutz und Sicherheit. Immerhin kann sich die SPD damit trösten, dass sie endlich wieder den Kanzler stellt, aber Ruhe hat die Partei nicht. Millionen Verbraucher setzen darauf, dass gerade die SPD sie in diesem Herbst und Winter bei Energieknappheit und hohen Preisen für Öl, Gas und Strom nicht alleine lässt, sondern ein weiteres Entlastungspaket schnürt. Es könnte ein harter Winter werden. Die SPD erlebt gerade ihren eigenen Stresstest.