Kommentar Gelebte Kirche

Als "evangelische Zeitansage" hat sich der 1949 ins Leben gerufene Deutsche Evangelische Kirchentag als Forum der Laien immer verstanden. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Und seine 34.Auflage in Hamburg stellt dies mit 2500 Veranstaltungen für 120.000 Dauer- und einige 10.000 Tagesteilnehmer eindrucksvoll unter Beweis. Längst ist in Vergessenheit geraten, dass 1973 der damalige Kirchentagspräsident Helmut Simon unter dem Eindruck von nur 7000 Dauerteilnehmern meinte, man müsse auch den Mut haben, den Kirchentag sterben zu lassen.

Was macht eigentlich die Anziehungskraft dieses größten christlichen Laientreffens aus? Zum einen ist es das jeweilige Thema, das zur Debatte steht. In diesem Jahr geht es unter der Losung "Soviel du brauchst" um unseren Lebensstil. Die Losung ist dem Alten Testament entnommen, genauer gesagt, dem Murren Israels nach dem Auszug aus Ägypten. Es hungert in der Wüste, sehnt sich nach den vergangenen Zeiten zurück. Da befielt Mose dem Volk, nur so viel von der Nahrung zu nehmen, die Gott schickt, wie jeder braucht. Einige aber wollen vorsorgen und müssen feststellen, dass das Zuviel am nächsten Morgen verdorben und ungenießbar geworden ist.

Die Aktualität dieses "Soviel du brauchst" liegt angesichts der täglichen Schlagzeilen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen auf der Hand. Und so ist es kein Wunder, dass sich nicht nur Kirchenmänner und Professoren wieder auf den Weg nach Hamburg machen, sondern auch die Politiker mit Rang und Namen - vom Bundespräsidenten bis zur Bundeskanzlerin und dem Oppositionsführer.

Nicht weniger wichtig ist eine oft übersehene Tatsache: Rund ein Drittel der Teilnehmer - also 40 000 - gestaltet den Kirchentag selbst. Teilweise mit einem Jahr Vorbereitung. Der Kirchentag ist also ein Stück aktiver Kirche, die scheinbar im Kontrast zur Alltagskirche vor Ort steht: Hier die mit Tausenden Besuchern überfüllten Gottesdienste, dort die leeren Kirchenbänke. Hier das engagierte Ringen der jungen Generation, dort das Zuhören im kleinen Kreis. Aber das ist nur scheinbar ein Gegensatz. Denn ohne die kirchliche Lebendigkeit vor Ort wäre auch ein Kirchentag eine langweilige Veranstaltung.

"Gott ist zurück", titelte die kirchenkritische "Tageszeitung" im Blick auf den 34. Deutschen Evangelischen Kirchentag. Dumm nur, dass sie nicht gemerkt hat, dass er gar nicht weg war. Oft ist er im Alltag verborgen. Wie lebendig er auch vor Ort ist, zeigt der "Markt der Möglichkeiten" des Hamburger Kirchentages mit fast 1000 Ständen und Initiativen. Aber auch die Zehntausende, die sich jeden Morgen zur einstündigen Bibelarbeit einfinden, dem Herzstück eines jeden Kirchentages. Kirchen- und auch Katholikentage - das ist gelebte Kirche im Alltag.

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