Kommentar Gescheiterte Bildungsreformen - Lerndefizite

Noch nach jeder Veröffentlichung einer neuen Bildungsstudie setzt ein großes Wehklagen ein: Die Südländer sind zumeist Spitze, die Stadtstaaten hinken mit großem Abstand hinterher. Gleiche Startchancen gibt es für Schulkinder nicht, die soziale Herkunft entscheidet noch immer über den Bildungserfolg, und auch Kinder von Migranten bleiben benachteiligt. Der Eindruck ist: Stillstand auf breiter Front.

Über Jahrzehnte haben sich deutsche Bildungspolitiker erschöpft im ideologischen Streit über Schulformen. Gleichzeitig haben sie eifersüchtig darüber gewacht, dass die Länder ihre Kulturhoheit behalten, niemand sollte ihnen hineinreden. Das Ganze gipfelte im Kooperationsverbot, das dem Bund seit der vorletzten Föderalismusreform die Hände in Bildungsfragen bindet, sofern sie die Länder betreffen.

Am meisten gelitten haben darunter Lehrer und Schüler. Die meisten Lehrer, so sie denn schon lange im Schuldienst sind, haben die tiefgreifenden Veränderungen längst zermürbt, die Lehrpläne, Didaktik, Unterrichtsform betreffen. Der Frust über die Bildungspolitiker sitzt sehr, sehr tief. Viele, die ihren Beruf eigentlich lieben, würden ihn heute nicht mehr ergreifen. Schüler und ihre Eltern sind ebenso entnervt, weil sie sich als Opfer ständig neuer Experimente empfinden, deren Erfolg ihnen zweifelhaft erscheint. Die Aussagekraft von Vergleichsstudien, wie sie gestern wieder veröffentlicht wurden, ist gering, wenn sie sich darauf beschränken, Leistungsergebnisse zu quantifizieren und sie in Länderrankings darzustellen. Über die Ursachen der Erfolge und Misserfolge sagen sie rein gar nichts aus. Von den Ursachen aber hängt alles ab, nur aus ihnen lässt sich lernen.

In Berlin mit seinem hohen Migrantenanteil und den überdurchschnittlich vielen sozial schwachen Familien ist die Enttäuschung über das schlechte Abschneiden besonders groß, weil man meinte, eigentlich alles richtig gemacht zu haben. Hier hat es vor Jahren viele empfohlene Strukturreformen gegeben, die die Leistungen der Grundschüler heben sollten.

Es klingt fast wie Hohn, wenn nun die Kultusminister die Lehrerausbildung in den Mittelpunkt rücken wollen. Sie haben die Universitäten auf unverantwortliche Weise über Jahrzehnte vernachlässigt. Statt Lehramtsstudenten schon frühzeitig auf ihre Eignung zu prüfen und die Praxisberührung durch Schulbesuche von Beginn an zu ermöglichen, setzt der Kontakt mit den Schülern zumeist erst mit dem Referendariat ein.

Der Föderalismus in der Bildung ist gescheitert, wenn er nicht dazu führt, dass die Länder voneinander lernen. Diesen Beweis haben sie bisher nicht geliefert. Strukturreformen sind nicht alles. Doch wenn Strukturen Entwicklungen behindern, etwa das Kooperationsverbot, müssen sie fallen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Holger Möhle, Berlin,
zur UN-Generalversammlung
Die Weltunordnung
Kommentar zur UN-GeneralversammlungDie Weltunordnung
Ein Experiment
Zum Gefangenenaustausch Ein Experiment
Zum Thema
Bernd Eyermann
zur Bildungspolitik in NRW
Noch keine Chefsache
Kommentar zur Bildungspolitik in NRWNoch keine Chefsache
Das ist ewiggestrig
Kommentar zu Parkautomaten in Bonn Das ist ewiggestrig
Aus dem Ressort