Kommentar Gürtel und Hosenträger

Wer Staubsauger reguliert und die Laufzeit von Kaffeemaschinen festschreibt, darf sich nicht wundern, wenn er mit derartigen Lachnummern die Runde macht. Das Dilemma der EU, der der Ruf eines Bürokratiemonsters vorauseilt, ist: Sie soll einen Binnenmarkt schaffen, der Industriestandards vereinheitlicht.

Das ist ohne juristische Genauigkeit, die jeden Laien in Kopfschütteln versetzt oder in blankes Unverständnis stürzt, nicht möglich. Wer sich ernsthaft um Entbürokratisierung bemühen will, darf nicht bei Oberflächlichkeiten stehen bleiben.

Die Stoiber-Arbeitsgruppe ist auf europäischer Ebene einen wichtigen und richtigen Weg gegangen. Man hat nach den Folgekosten von Verordnungen und Richtlinien gefragt und dabei manche unsinnige Belastung entdeckt, deren Streichen weder dem Klima noch der Umwelt noch den Menschen schadet. Staatliches Handeln braucht ebenso wie die Gemeinschaft eine verlässliche Zahlenbasis, das ist wahr. Aber wer mit seinem Daten- und Statistikhunger übertreibt, der erstickt unternehmerische Initiative. Auch das ist richtig. Über dieses Ziel sind Bürokraten auf allen politischen Ebenen immer wieder hinausgeschossen. In Brüssel schaut man nur eben besonders gern hin.

Dabei ist die Union nur für die Hälfte des Aufwandes verantwortlich. In den meisten Fällen haben die Regierungen und Parlamente der Mitgliedstaaten selbst auf den größten Unfug noch so lange draufgesattelt, bis daraus eine Zwangsjacke wurde. Dass Unternehmen hochgradig gesundheitsgefährdende Stoffe vor ihrem Einsatz zulassen müssen, ist angebracht. Dass dieser Aufwand dann auf europäischer Ebene noch einmal wiederholt werden muss, macht aus einer sinnvollen Auflage übertriebene Fürsorge. Sie kostet jedes Jahr Milliarden, ohne einen Zugewinn an Sicherheit zu bringen.

Zu allem Überfluss verlangt die EU, das Zulassungsverfahren alle sieben Jahre zu wiederholen. Hier muss die Gesetzgebung ansetzen, indem sie verzichtet und anerkennt, was sich bereits an sinnvollen Standards in der Praxis bewährt hat. Die Arbeit des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten war wichtig, auch wenn sie genau genommen auf der Hälfte der Strecke stecken blieb. Denn so emsig, wie Stoiber und seine Experten den Bestand an EU-Gesetzen durchforsteten, so schnell wuchsen neue Vorschriften nach. Den Vorschlag, jedes Gesetz vorab auf seine Kostenwirkungen zu überprüfen, hat man ebenso wenig aufgegriffen wie die Anregung, staatliche Regelungen mit einem Verfallsdatum zu versehen.

Doch es sind nicht die Politiker allein, die für den Paragrafendschungel verantwortlich sind. Edmund Stoiber hat dazu eine Erkenntnis beigetragen, die schon fast zu den Klassikern gehört: Vorschriften seien zu oft nach dem Muster aufgebaut, lieber die Hose gleichzeitig mit Gürtel und Hosenträgern zu sichern und dann noch mit Sicherheitsnadeln am Hemd zu befestigen, sagte er einmal. Und weiter: "In aller Regel muss der Gürtel alleine reichen." Entbürokratisierung als Auftrag für alle. Tatsächlich bricht keine Vorschrift über die EU, über einen Staat, über eine Gesellschaft unerwartet und von höchster Stelle herein. Die Kommission hat wenigstens angefangen, den Wald an Vorschriften zu lichten. Die Mitgliedstaaten müssen folgen.

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