Kommentar Gute Chancen für Städte - NRW-Kommunen klagen wegen Einheitslasten gegen das Land

MÜNSTER · Nordrhein-Westfalens Städte und Gemeinden haben gute Chancen, demnächst weniger Geld für die Lasten der deutschen Einheit zahlen zu müssen. Das Landesverfassungsgericht in Münster kritisierte gestern die Berechnungs-Grundlagen, nach denen die Kosten zwischen dem Land NRW und den Kommunen verteilt werden.

Sie seien juristisch nicht nachvollziehbar, sagte der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Michael Bertrams. 91 Städte und Gemeinden waren gegen das Land vor Gericht gezogen - darunter aus dem südlichen Rheinland die Großstädte Bonn, Köln und Leverkusen, die Städte Brühl und Overath sowie die Gemeinde Lindlar.

Es geht dabei aber nicht um den Solidarpakt an sich. Im Zentrum steht die Frage, wer in Nordrhein-Westfalen wie viel zahlen muss. Die Klage richtet sich gegen ein Gesetz, das der Landtag im Jahr 2010 noch zu Zeiten der schwarz-gelben Regierung verabschiedet hatte.

Entscheidend für den Rechtsstreit ist ein kompliziertes System, nach dem deutschlandweit die Einheitslasten von Kommunen und Ländern je nach Wirtschaftskraft verteilt werden. In diesem System gibt es Be- und Entlastungen.

Zum Beispiel wurde den Ländern mit Blick auf die Kosten der Wiedervereinigung mehr Beteiligung an der Umsatzsteuer zugesprochen. Weite Teile dieses großen Verteilschlüssels finden sich aber in dem strittigen NRW-Gesetz nicht wieder. Der Gerichtspräsident wies ausdrücklich auf diese Lücke hin und betonte: "Eine Entlastung für schwache Länder muss an die Kommunen weitergegeben werden."

Die Städte und Gemeinden prangern an, dass das Land Nordrhein-Westfalen durch die eingeschränkte Betrachtung Kosten für sich geltend macht, die gar nicht anfallen. Schließlich sei NRW im Länderfinanzausgleich zuletzt ein Nehmerland gewesen. 2010 flossen 354 Millionen Euro aus dem Ländertopf nach Düsseldorf, 2011 immerhin noch 224 Millionen Euro.

"Andere Bundesländer wie Bayern haben die Last übernommen", sagte der Anwalt der klagenden Kommunen, Jörg Wacker. "An Einheitslasten, die nicht von Nordrhein-Westfalen, sondern von anderen Ländern getragen werden, dürfen NRW-Kommunen nicht beteiligt werden." Den betroffenen Kommunen würden "bis 2019 mehr als zwei Milliarden Euro entzogen".

Verfassungsrechtler Rainer Wernsmann betonte als Vertreter des Landes, dass "auch westdeutsche Empfängerländer Einheitslasten tragen". Die Berechnungs-Grundlage des Landes sei "kein fiktiv aufgeblähtes Volumen", sagte der Anwalt.

"Das Land hat sich bemüht, möglichst genau und annäherungsweise die Lasten zu bestimmen." Man habe unter anderem die wirtschaftlichen Kennziffern anderer Länder mit NRW verglichen.Beim Gericht löste die Grundlage der Berechnungen dennoch große Skepsis aus.

Das Gericht werde nicht finanzwissenschaftlich, sondern juristisch vorgehen. Und wenn das Gesetz große Teile des Finanzierungssystems ausblende, "ist dies für mich als Jurist nicht nachvollziehbar", sagte Bertrams ungewohnt deutlich. Das Urteil soll am 8. Mai fallen - fünf Tage vor der NRW-Landtagswahl.

Erst vor wenigen Wochen hatten die Oberbürgermeister einiger NRW-Städte den bis 2019 laufenden Solidarpakt kritisiert und geltend gemacht, dass sie für die Zahlungen Kredite aufnehmen müssten. Das verschärfe die ohnehin schon großen finanziellen Probleme vieler Kommunen. dpa

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