Kommentar Hähnchen im Chlorbad

Wozu noch ein Abkommen? Den Freihandel mit Daten in die USA gibt es doch schon... Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Das gilt auch für die gestern aufgenommenen Gespräche zwischen Brüssel und Washington über die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums. Im Schatten der US-Spitzelaktionen sind die Vorbehalte gegenüber dem mächtigen transatlantischen Partner nicht geringer geworden.

Europas Wirtschaftsvertreter werden zwar nicht müde, die Vorteile einer dann weltgrößten Freihandelszone mit den USA herauszustreichen. Die EU-Firmen könnten schon auf Basis des derzeitigen Handelsvolumens jährlich rund eine dreiviertel Milliarde Euro an Zöllen sparen. Das klingt allerdings nach mehr als es ist. Zölle machen nur etwa drei bis fünf Prozent aus. Der Handel dürfte aber zunehmen, die EU-Kommission rechnet mit bis zu 400 000 neuen Arbeitsplätzen.

Doch in einzelnen europäischen Landern formiert sich längst Widerstand. So hat sich Frankreich gegen alle anderen EU-Mitglieder mit der Forderung durchgesetzt, Film, Musik und sonstige Medien aus den Verhandlungen von vorneherein auszunehmen. Zu groß ist die Angst in Paris vor Überfremdung durch Hollywood und amerikanischen Pop und Rock. Französische Radiosender beschallen ihre Hörer seit vielen Jahren mit einer vorgeschriebenen Quote von 40 Prozent für nationale Songs. In Deutschland wiederum geht vor allem die Angst vor gentechnisch veränderten oder sonstigen zweifelhaften Lebensmitteln aus dem Land der Dicken um. Geflügelfleisch beispielsweise wird in den USA in einem Chlorbad behandelt, was in der EU verboten ist.

Ein solches "Chemikalienprodukt" sei hierzulande "absolut undenkbar", schimpft etwa die deutsche Geflügelwirtschaft. Der Bund für Umwelt und Naturschutz warnt vor einer Aufweichung der EU-Gesetze zu Umwelt und Energie. Wegen der großen Unterschiede zwischen den USA und Europa ist es gut möglich, dass auch der Agrarsektor aus den Verhandlungen ausgenommen werden muss. Auf dem Finanzmarkt sieht es aber nicht besser aus. Und anderswo geht es zwar scheinbar nur um Kleinigkeiten wie den Krümmungswinkel der Rückspiegel bei Autos. Lösungen können trotzdem schwierig werden, angesichts der Macht der Bürokratie auf beiden Seiten.

Auch weltpolitische Folgen sind zu bedenken. Ein Handelsblock EU/USA könnte von Russland, China und anderen Mächten als eine Art Wirtschafts-Nato angefeindet werden. Kritiker fordern, dass sich die EU vordringlich um freieren Handel mit Asien und - entwicklungspolitisch - mit Afrika bemühen sollte, statt den ohnehin starken Handel der EU mit den USA - er macht ein Drittel der weltweiten Handelsströme aus - noch weiter zu erleichtern. Ganz falsch klingt das nicht.

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