Kommentar Haushaltskrise in den USA - Realitätsverlust

Haushaltsstreit. Notfinanzierung. Zahlungsunfähigkeit. Staatsbankrott. Die Stichworte, die zum Jahresausklang aus Amerika nach Europa herüberschwappen, machen unfroh. Die Supermacht steht wenige Wochen nach den Wahlen, die ein glasklares Ergebnis pro Obama brachten, erneut im Niemandsland der politischen Handlungsunfähigkeit.

Was Demokraten und Republikaner gemeinsam seit Wochen aufführen, ist ein starkes Stück Realitäts- und Arbeitsverweigerung, das in Berlin, Paris, London oder Madrid nachträgliches Kopfschütteln über die selbstgerechte Attitüde auslösen wird, mit der US-Spitzenpolitiker wie der scheidende Finanzminister Timothy Geithner noch vor kurzem der Euro-Schulden-Krise begegnet sind.

In weniger als 72 Stunden hat Amerika seinen auf 16,4 Billionen Dollar festgelegten Spielraum für die Schuldenaufnahme ausgeschöpft. Nur mit Tricksereien und Umbuchungen kann kurzfristig die Zahlungsfähigkeit gewährleistet werden. Damit verknüpft hört man das Rauschen des Wasserfalls am "fiscal cliff" immer lauter.

Wenn sich Demokraten und Republikaner nicht doch noch kurzfristig verständigen, treten am Neujahrstag automatische Budgetkürzungen und Steuererhöhungen in Kraft, die Millionen Familien das Leben erschweren und die Wirtschaft abzuwürgen drohen. All das ist seit 18 (!) Monaten bekannt. Hat Amerika den Auto-Piloten eingeschaltet, der das Land vor die Wand fährt?

Klar ist, dass Obama wie auch die moderaten, in der Öffentlichkeit leider erschreckend leisen Kräfte bei den Republikanern gehofft hatten, dass die Wahl vom 6. November eine reinigende Wirkung bei jenen Radikalinskis zeitigen würde, für die "Kompromiss" das Unwort des Jahrzehnts ist. Irrtum. Die Tea-Party lebt.

Zu verhärtet sind die Fronten, zu unangreifbar hat sich ein politisches Zwei-Parteiensystem gemacht, indem es sich eine kleine Minderheit von intellektuell überschaubar aufgestellten Abgeordneten ungestraft leisten kann, zum Frommen der reinen Lehre nicht nur die Bürger in Geiselhaft zu nehmen. Sondern im schlimmsten Fall die ganze Weltwirtschaft.

Wenn sich der Pulverdampf der Pokerpartie gelegt hat, wenn in zwei Tagen, Wochen oder Monaten eine Überbrückungslösung gefunden ist, wird die Ernüchterung groß sein. Denn die Ursachen allen Übels bleiben unangetastet. Amerika lebt seit langem weit über seine Verhältnisse. Es konsumiert obszön zu viel. Und produziert zu wenig.

Amerikas Rolle in der Welt beruhte immer auf seinem Reichtum sowie auf seinem diplomatischen und militärischen Gewicht. Das Unvermögen, diesen Reichtum klug zu verwalten und die Schulden mit Augenmaß in den Griff zu bekommen, schädigt den Ruf der Supermacht im globalen Maßstab nachhaltig.

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