Kommentar Haushaltspolitik in Europa - Junckers Sündenfall

Seit 2002 haben die Menschen in der Euro-Zone die gleichen Scheine und Münzen in ihren Taschen. Die Bedeutung der Währungsunion geht aber darüber hinaus.

Die Arbeitnehmer, die in der Euro-Zone leben und wirtschaften, die einen Teil ihres Lohnes jeden Monat in die gesetzlichen Rentenkassen einzahlen, die Unternehmer, die ihr Kapital oder geliehenes Geld investieren, sie alle leben in einer wirtschaftspolitischen Haftungsgemeinschaft.

Weil das so ist, haben sich die Politiker seit Anfang der 90er Jahre Gedanken darüber gemacht, wie sich unter dem Dach der Gemeinschaftswährung die nationalen Regierungen disziplinieren lassen, wie sich exzessiv hohe Defizite künftig vermeiden lassen. Aber: Schon früh nach Einführung der Gemeinschaftswährung gab es Politiker, die meinten, sich über Beschlüsse hinwegsetzen zu können.

Der Erste, der den Stabilitäts- und Wachstumspakt sturmreif schoss, war der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder. Er stand 2002/2003 politisch am Abgrund. Es ist legendär, wie er da auf seinen Finanzminister Hans Eichel Druck ausübte ("Lass mal gut sein, Hans"), bis der bereitwillig mitmachte, die Verschuldung in die Höhe trieb und den Pakt verletzte.

Dann kam die Weltfinanzkrise, die in eine Staatsschuldenkrise im Euro-Raum mündete. Auf deren Höhepunkt 2012/2013 hatte der Bürger den Eindruck, dass die Politik aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hatte. Es gab etliche Gipfel, auf denen sich die Regierungschefs mit dem ewig gleichen Thema beschäftigten .

Mit dem Ergebnis, dass die Länder der Euro-Zone verabredeten, künftig enger zusammenzuarbeiten, der EU-Kommission vorab ihre Haushalte zur Genehmigung vorzulegen. Und falls die Haushalte aus den Rudern laufen, sollte die Kommission das Recht haben, Sanktionen zu erlassen und Maßnahmen zu verlangen, damit das Land wieder zurück in die Spur kommt.

Frankreich und Italien kommen aber haushaltspolitisch auf keinen grünen Zweig. Allen schönen Worten zum Trotz gibt es dort keine grundlegenden Reformen, die Haushalte sind tief in den roten Zahlen, eine Wende ist nicht in Sicht. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hätte die Pflicht gehabt, scharf gegen Frankreich und Italien vorzugehen.

Er hat es nicht getan. Einmal mehr erleben die Bürger, dass Verträge, Selbstverpflichtungen und Absprachen nichts wert sind. Schon wieder kneift da einer beide Augen zusammen und gewährt den Sündern noch einmal Schonfrist.

Was will man kleineren Euro-Ländern demnächst sagen, wenn die Kommission bei ihnen klare Kante zeigen will? Der politisch angeschlagene Juncker, der gerade ein Misstrauensvotum im Parlament überstanden hat, hat nicht mehr die Kraft, selbstbewusst gegenüber Frankreich und Italien aufzutreten

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