Kommentar zum Cyber-Lagebericht In der digitalen Steinzeit

Meinung · Der aktuelle Lagebericht von Bundesinnenministerium und Digital-Sicherheitsbehörde BSI liefert Daten, die inzwischen außerhalb des Vorstellungsvermögens gewöhnlicher Internetnutzer liegen, kommentiert Gregor Mayntz.

Arrne Schönbohm (l), Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI),  neben Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU).

Arrne Schönbohm (l), Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), neben Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU).

Foto: dpa/Christoph Soeder

Stellen wir uns kurz vor, es gäbe kein Internet und wir bekämen Briefe, die beim Öffnen Schaden anrichten. Die Absender sind gute Freunde, die die Briefe aber gar nicht geschrieben haben. Und trotzdem ist ihre Handschrift täuschend echt zu lesen, und auch die Inhalte beziehen sich auf vorherige Gespräche. Immer mehr Briefe kommen bei immer mehr Menschen an. Zum Schluss sind Millionen Haushalte verseucht. Was tun wir? Vermutlich nehmen wir erst einmal keine Briefe mehr an. Und nun dasselbe Suenario noch mal mit dem Internet und elektronischer Post: Die Mails öffnen wir, obwohl wir wissen, dass Schadprogramme wie Emotet die Inhalte scannen, die Absender und Empfänger kopieren, weiterer Schadsoftware den Weg öffnen und sich immer weiter verbreiten.

Der aktuelle Lagebericht von Bundesinnenministerium und Digital-Sicherheitsbehörde BSI liefert Daten, die inzwischen außerhalb des Vorstellungsvermögens gewöhnlicher Internetnutzer liegen: Dass die Zahl der täglich angewendeten Schadprogramme von 300.000 auf 450.000 gestiegen ist. Dass es jeden Tag 64.000 Angriffe allein auf die Regierung gibt. Dass sich die Meldungen häufen, wonach funkelnagelneue Tablets bereits mit Schadprogrammen verseucht sind. All das nehmen wir eher beiläufig zur Kenntnis. Wir ahnen ohnehin, dass die Gefahren schneller wachsen als die Bereitschaft, uns dagegen auch intensiver zu schützen.

Das hat auch damit zu tun, dass die Entwicklung des weltweiten Wissens ebenfalls kaum mehr zu fassen ist. Wenn die Menschheit von 1900 bis zum Jahr 1950 brauchte, um die Summe aller ihrer Kenntnisse zu verdoppeln, und wir jetzt schon wieder doppelt so viel Wissen angehäuft haben wie wir erst 2014 hatten, dann wächst die digitalisierte Menschheit in eine neue Klassengesellschaft hinein: Es unterscheiden sich die professionell vorgehenden Internet-Nutzer mit ständig neuen Erkenntnisgewinnen und ständig verbesserten Einstellungen von den Abgehängten, die ihre Vorurteile konservieren und sich nicht wirklich weiter entwickeln wollen oder können.

Die Scheinbare Modernität des Computer-Zeitalters entlarvt sich so in Wahrheit als Rückschritt. Es droht ein Rückfall in Zeiten vor dem Ausbau des Bildungssystems. Doch seinerzeit gab es eine ausgeprägte  Kommunikation in der Familie, im Verein, im Dorf. So konnten alle zusammen vorankommen. Im Gegensatz dazu ist jetzt eine Schein-Kommunikation im Netz möglich, in der sich jeder rund um die Uhr weltweit seine eigenen alten Einschätzungen stets aufs Neue bestätigen lassen kann.

Es ist der Hinweis darauf, dass wir im Umgang mit den Gefahren des Netzes gerade einmal in der digitalen Steinzeit angekommen sind. Darauf muss sich auch die Medienerziehung in den Schulen verstärkt einstellen.

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