Kommentar zur Flüchtlingskrise In der Klemme

Meinung · Die Lage an der türkisch-griechischen Grenze spitzt sich zu. Wieder stehen Tausende Flüchtlinge vor den Toren nach Europa. Doch dieses Europa zeigt kein freundliches Gesicht, kommentiert unser Autor.

 Holger Möhle, Berlin,    zum Flüchtlingsdrama EU/Türkei

Holger Möhle, Berlin, zum Flüchtlingsdrama EU/Türkei

Foto: grafik

Angela Merkel erlebt im Spätherbst ihrer Kanzlerjahre, dass sich Geschichte doch wiederholen kann. Die Flüchtlingskrise ist zurück. Mindestens an der Außengrenze der Europäischen Union, und wer weiß, vielleicht auch bald wieder in Europa. Die Bilder aus dem Herbst 2015 sind unvergessen, als die deutsche Regierungschefin Zehntausende Menschen, die vor Krieg und Elend durch halb Europa geflohen waren, unbürokratisch ins Land ließ. 

„Wenn wir uns jetzt noch entschuldigen müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land“, hatte die Bundeskanzlerin noch gesagt. Merkel erlebte in der Folge die schwersten Jahre ihrer Kanzlerschaft – bis hin zum Zerwürfnis mit CSU-Chef Horst Seehofer und dem Beinahe-Bruch dieser Regierung im Sommer 2018.

Und jetzt? Wieder stehen Tausende Flüchtlinge an der Grenze nach Europa. Doch dieses Europa zeigt kein freundliches Gesicht, sondern empfängt Menschen in Not mit Wasserwerfern, Tränengas, Stacheldraht und Abweisung. Die Aggression gegen Flüchtlinge ist heute größer als 2015, auch, weil das EU-Mitglied Griechenland von Menschen aus Syrien oder Irak förmlich überrannt wird.

Die regionale Hegemonialmacht Türkei spielt derweil ein zynisches Spiel. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat sich mit seinem militärischen Eingreifen auch in der syrischen Rebellenhochburg Idlib verhoben und setzt nun Flüchtlinge als Druckmittel ein. Keine Frage, Erdogan nimmt der EU mit dem 2016 vereinbarten Flüchtlingspakt eine große Last. 3,6 Millionen Flüchtlinge alleine aus Syrien sind in dem Land. Die EU wird nicht daran vorbeikommen, der Türkei nochmals finanziell entgegenzukommen.

Der Krieg in Syrien aber bleibt der eigentliche Grund für das Flüchtlingsdrama. Doch wie in Libyen versagt die EU auch in Syrien seit fast zehn Jahren als Ordnungsfaktor. Russland spielt dort seine schmutzige Großmacht-Rolle und schafft auf der Seite von Diktator Baschar al-Assad militärisch Fakten. Solange Assad an der Macht ist, ist der Exodus nicht zu stoppen. Und solange Moskau Assad unterstützt, bleibt er an der Macht. Merkel, die lange als Mrs Europa galt, aber auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen müssen nun zeigen, wie groß die Handlungsfähigkeit der EU ist. Ein Europa, das in der Flüchtlingskrise versagt, wäre ein sehr dunkler Schatten über dem letzten Jahr von Merkels Kanzlerschaft.

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