Kommentar Intrigen im Vatikan - Schlangennest

Das Innenleben des Vatikans wirkt in diesen Tagen wie der Plot zu einem packenden Kriminalroman. Der Kammerdiener des Papstes soll geheime Dokumente aus den päpstlichen Zimmern gestohlen und an die Öffentlichkeit gegeben haben.

Andere ebenso anonyme wie mysteriöse Verräter melden sich in Interviews zu Wort und plaudern Interna aus der Kurie aus. Kardinäle und Sekretäre sind in Intrigen verwickelt. Kardinalstaatssekretär Tarciso Bertone wird attackiert, auch der Privatsekretär des Papstes sieht sich Angriffen ausgesetzt. Wem schaden die gegenwärtigen Skandale im Vatikan?

Und wen begünstigen sie? Das sind die Fragen, die sich Beobachter angesichts der Zustände in der römischen Kurie stellen. Die überzeugendste Antwort lautet: Die Affäre um öffentlich gewordene Geheimdokumente schadet vor allem dem Papst selbst.

Die gesamte Kurie macht einen desaströsen Eindruck. Allen voran geht Benedikt XVI. geschwächt aus den Intrigen hervor. Möglicherweise wird der eine oder andere Kardinal nach Ende der Affäre seine persönliche Position verbessert haben.

Vor allem steht jedoch zu befürchten, dass diejenigen, die die Unruhe mit Hoffnung auf mehr Transparenz in der Führung der katholischen Kirche begrüßen, am Ende enttäuscht werden. Die Ausbreitung etlicher Details aus dem sensiblen Innenleben der Kurie wird eher dazu führen, dass sich der Vatikan noch weiter der Öffentlichkeit verschließt. Schon heute tut man sich schwer mit Transparenz, wie das Beispiel der Vatikanbank zeigt.

Die Maulwürfe behaupten, die Dokumente nur zum Besten des Pontifex an die Öffentlichkeit gegeben zu haben. Doch auch sie wissen: Vor allem der Papst macht bei der Affäre eine jämmerliche Figur. Mit jedem Tag, an dem über Hintermänner und Intriganten in der Kurie gerätselt wird, festigt sich der Eindruck eines misslungenen Pontifikats. Benedikt XVI. wird weniger als Kämpfer gegen den Relativismus in Erinnerung bleiben, sondern als schwacher, von Affären geplagter Pontifex.

Die katholische Kirche sieht ihren Auftrag in der Verbreitung des Evangeliums. Von dieser Mission wirkt sie soweit entfernt wie selten zuvor. Benedikt XVI. prangert immer wieder die Gleichgültigkeit gegenüber festen Werten an, die sich unter den Menschen breit mache. Intrigen, wie die Weltöffentlichkeit sie in diesen Tagen verfolgen kann, untergraben diesen moralischen Anspruch der Kirche nachhaltig.

Eine Institution, die sich nach außen wie ein Schlangennest darstellt, kann keine moralische Autorität für andere beanspruchen. Die Affären werden zur Folge haben, dass sich noch mehr Katholiken von der Institution Kirche abwenden. Das Pontifikat Benedikt XVI. sollte nach dem der Welt zugewandten Johannes Paul II. die Konsolidierung der Weltkirche bringen. Nun droht das Gegenteil, ihr weiterer Zerfall.

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