Kommentar Kanzlerin Merkel in den USA - Auf dem Hochseil

Druck und Anfeindungen von allen Seiten schweißen auch ungleiche Partner zusammen. Zwei, die sich nach der Abhöraffäre des Kanzlerinnen-Handys durch den Geheimdienst NSA nachhaltig zu entzweien drohten, sind seit gestern ein Kriseninterventionsteam auf dem Hochseil.

Barack Obama, der Führer der freien Welt, hat auf Angela Merkel, Chefvermittlerin im lodernden Brandherd Ukraine, gehört. Amerika wird bis auf Weiteres kein Öl ins Feuer gießen. Was die Lieferung von Kriegsgerät an die strukturell benachteiligte Armee der Ukraine unweigerlich bedeuten würde.

Was wird, wenn Merkel nach dem morgigen Treffen in Minsk nicht mehr als einen So-tun-als-ob-Waffenstillstand liefern kann, den Putin schon am Tag darauf hintertreibt, blieb im Weißen Haus offen. Brücken werden dann beschritten, wenn man davor steht. Auch in der Diplomatie.

Dass Obama so entschied, konnte man trotz des Lärms auf der Münchner Sicherheitskonferenz ableiten: aus der ausdauernden militärischen Zurückhaltung der USA in Syrien. Und dem, was der Präsident in der Neuauflage seiner Richtschnur für die Nationale Sicherheit mit "strategischer Geduld" umschreibt. Von Alternativlosigkeit schwadronierende Verfechter der Frieden-schaffen-mit-noch-mehr-Waffen-Fraktion sind ihm suspekt.

Ohne es anzusprechen, sind sich Obama und Merkel über das unerwünschte Kleingedruckte einer militärischen Belieferung Kiews einig: Die Ukraine wünscht Panzerabwehrraketen, Aufklärungsdrohnen, gepanzerte Fahrzeuge und abhörsichere Kommunikationsgeräte. Poroschenkos marode Armee kann mit dieser High-Tech gar nicht umgehen.

Also müsste Washington Ausbilder in die Ukraine schicken. Soldaten. "Boots on the ground". Das würde im Kreml tatsächlich wie eine direkte Einmischung des Westens in den Konflikt gelesen. Ein Hochrisikospiel, das in Wahrheit selbst die Hardliner in Washington scheuen.

Aber Geduld ist endlich. Sollte Wladimir Putin die Ausdehnung seiner Einflusszone in der Ukraine rücksichtslos vorantreiben, könnte sich Obama aus innenpolitischen Gründen zu einem Entlastungsakt gezwungen sehen. Er wird ihn hinauszögern, so lange es geht.

Ohne Merkel würde Barack Obama in Europa auf der Zielgeraden seiner letzten Amtszeit kaum mehr ein Bein mehr auf den Boden bekommen. Und ohne Putin wird es weder im Syrien-Krieg, und damit im Kampf gegen den Islamischen Staat, wie im Atompoker mit dem Iran für Washington gute Ergebnisse geben.

Bevor Waffentransporte gen Osten rollen, wird im Falle eines Scheiterns der Merkelschen Last-Minute-Mission eher ausgereizt, was Russland wirklich wehtun würde: der Ausschluss aus der internationalen Finanzwelt, sprich aus dem Zahlungssystem Swift.

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