Kommentar Karlsruhe und der neue Ehebegriff - Aus ähnlich wird gleich

Juristen legen Wert darauf, dass Gesetzesbegriffe hinreichend unbestimmt sind, damit sie aktuellen Entwicklungen angepasst werden können, damit das Recht "atmet".

Die Bundesverfassungsrichter haben am Donnerstag wieder einmal deutlich gemacht, wohin das führen kann: zu einer Umdefinition des Verfassungsrechts. Denn historisch ist klar: Die Mütter und Väter des Grundgesetzes dachten nur an Frau, Mann und Kind, als sie 1949 schrieben "Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung."

Es wäre jedoch ein Fehlschluss zu glauben, sie wollten damit damals gleichgeschlechtliche Partnerschaften herabsetzen. Denn diese Alternative gab es vor nunmehr bald 65 Jahren nicht. Der besondere Schutz von Ehe und Familie verpflichtet den Staat also zur Familienförderung, nicht zur Diskriminierung anderer Lebensformen.

Dass die Entscheidung für konservative Bürger (und Politiker) schwer erträglich ist, wenn man sie als Abwertung der traditionellen heterosexuellen Ehe missversteht, ist verständlich. Und dennoch konnten die Richter gar nicht anders entscheiden.

Denn wer eingetragenen Lebenspartnerschaften die gleichen Pflichten wie Eheleuten auferlegt, kann ihnen die Vorteile aus dieser Beziehung nicht vorenthalten. Das Ehegattensplitting gibt es für Ehefrau und Ehemann ja nicht etwa, damit beide Steuern sparen, sondern weil sie gegenseitig (auch finanziell) füreinander einstehen - und damit die Staatssäckel entlasten.

Ärgerlich an dem Karlsruher Urteil ist also nicht sein Inhalt, sondern die Tatsache, dass es notwendig wurde. Wieder einmal und gerade bei diesem Thema der Gleichstellung und damit dem Schutz von Minderheiten zeigen die Richter der Politik, wo es lang geht. Weil die Politik sich bisher nicht getraut hat, diesen Weg zu gehen.

Als Rot-Grün die eingetragene Partnerschaft 2001 auf den Weg brachte, blieben sie auf halbem Weg stecken. Sie brachten gleichgeschlechtlichen Paaren die langersehnte Anerkennung, verweigerten ihnen aber die eigentlich daraus resultierenden Rechte. Seit Donnerstag ist die Steuerfrage geklärt, jetzt bleibt als größerer Komplex noch das Adoptionsrecht.

Karlsruhe hat also wieder einmal Politik gemacht, weil die Politik inkonsequent handelt. Die Richter nehmen damit gerade der Union eine Aufgabe ab, vor der sie sich wegen der Widerstände in den eigenen Reihen gedrückt hat.

Konsequent aber wäre etwas anderes: Wenn Karlsruhe schon hetero- und homosexuelle Partnerschaften gleichstellt, macht das Gerede von den "eheähnlichen" Beziehungen keinen Sinn mehr. Aus ähnlich wird gleich. Ob man es will oder nicht. Noch konsequenter wäre es, das Grundgesetz entsprechend zu ändern - und sich dann dem Thema zu widmen, ob das Ehegattensplittung überhaupt noch zeitgemäß ist. Aber das ist eine andere Frage.

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