Diskussion in Pro und Contra Soll der Karneval in Corona-Zeiten stattfinden?

Meinung | Bonn · Soll der Karneval in Corona-Zeiten stattfinden oder gänzlich abgesagt werden? Mit dieser Frage beschäftigen sich die Karnevalisten spätestens nach der Meinungsäußerung von Gesundheitsminister Jens Spahn. Eine Diskussion in Pro und Contra.

Eine solche Veranstaltung wie die Proklamation des Bonner Prinzenpaares Anfang dieses Jahres ist für viele derzeit nur schwer vorstellbar.

Foto: Benjamin Westhoff

Pro: Differenzieren statt pauschalisieren

GA-Redakteur Holger Willcke findet, dass Karneval auch viele gesellschaftliche und soziale Aufgaben erfüllt. Gerade in Corona-Zeiten haben diese positiven Merkmale eine besondere Bedeutung:

Um es ganz klar zu sagen: Die Gesundheit der Bürger steht über allem. Keine Karnevalssitzung, kein Festumzug ist so wichtig, dass die Gesundheitsvorsorge vernachlässigt werden darf. Aber der Brauch Karneval ist so facettenreich, dass es gravierende Unterschiede bei Veranstaltungsformaten gibt. Und diese Feinheiten müssen bei der Entscheidung der verantwortlichen Politiker Berücksichtigung finden. Karneval als Ganzes darf und muss nicht abgesagt werden.

Als ehemaliger Prinz der Bundesstadt Bonn habe ich die Erfahrung machen dürfen, dass besonders für Kinder, Senioren, Kranke, Behinderte, aber auch Menschen, die am Rande unserer Gesellschaft leben, Karneval eine willkommene Abwechslung im Alltag bedeutet. Für einen Moment abschalten, Sorgen ausblenden, Hoffnung schöpfen, Ablenkung zu lassen – Karneval und seine Symbolfiguren leisten viele gesellschaftliche und soziale Aufgaben. Diese positiven Merkmale des Brauchtums gewinnen in der von Unsicherheit und Sorgen geprägten Corona-Zeit mehr und mehr an Bedeutung.

Was aus heutiger Sicht sicherlich nicht vertretbar ist, sind Karnevalspartys, Musikevents, wahrscheinlich auch Prunksitzungen und große Umzüge, bei denen sich Menschen in Massen nahekommen. Darauf verzichten zu müssen, ist nicht nur zumutbar, sondern in Zeiten der Corona-Pandemie selbstverständlich.

Statt einer Absage benötigen die Karnevalisten eine klare Ansage, welche Formate unter welchen Bedingungen möglich sein könnten. Noch ist genug Zeit, um sich auf mögliche Folgen der Corona-Pandemie einzustellen. Veranstaltungen mit bis zu 50 oder mehr Besuchern könnten jetzt noch geplant werden. Eine definitive Erlaubnis müssen die Kommunalbehörden um die Jahreswende erteilen – entsprechend der Infektionslage in den Regionen.

Wer für eine Komplettabsage des Karnevals plädiert, muss auch an Konsequenzen für Künstler, Musiker, Wirte, Veranstalter und Handel denken. Sie alle würden eine Art Karnevals-Lockdown erleben und wieder keine Einnahmen erwirtschaften. Sollte es dennoch aus Gründen der Gesundheitsvorsorge zu einer Sessionsabsage kommen, wird der Karneval sich der Entscheidung unterordnen – gemäß dem kölschen Grundgesetz, Artikel 1: Et es wie et es. Will heißen: Finde dich damit ab. Holger Willcke

Contra: Das Virus verzeiht keine Nachlässigkeit

GA-Redakteur Dylan Cem Akalin plädiert für mehr Verzicht – auch im Karneval. Ist es wirklich so schlimm, mal ein Jahr mit solchen Feiern auszusetzen?

Das Virus verzeiht nicht die kleinste Nachlässigkeit. Das merken wir immer wieder. Singen beim Gottesdienst, zu enge Arbeitsplätze, keine Abstände bei der Familienfeier – und schon haben wir den nächsten Hotspot.

Es war schon mutig, ja, leichtfertig, Urlaubsreisen in engen Flugzeugen zu erlauben. Jetzt erleben wir, dass die Zahlen von Neuinfektionen wieder in die Höhe schnellen. Schon am ersten Tag am Ballermann fielen sämtliche Hemmungen.

Und im Karneval? Die letzte Session hätte ja angesichts der absehbaren Pandemie abgesagt werden müssen. Gangelt im Kreis Heinsberg hat gezeigt, was ein infiziertes Paar in einer Kappensitzung anrichten kann. Am Ende waren 13 Tote zu beklagen.

Wer meint, dass Karnevalisten beim Feiern Abstände und Hygieneregeln einhalten, der glaubt auch an den Weihnachtsmann. Sobald Alkohol im Spiel ist, sind die Menschen nicht mehr in der Lage, die nötige Zurückhaltung zu üben. Und eine Prunksitzung ohne Kölsch und Piccolöchen ist ebenso undenkbar, wie ein Metalfestival, auf dem nur Tee serviert wird.

Und es geht nicht nur um das Verhalten Einzelner, sondern um die ganzen Umstände. Wie soll so eine Sitzung aussehen? Da sitzen Clowns, Piraten und Hexen nebeneinander mit anderthalb Metern Abstand und tragen Mund-Nasen-Schutz? Und beim Karnevalszug sind Markierungen am Straßenrand angebracht, die anzeigen, wo man sich hinstellen darf?

So bitter es für das Brauchtum und die Freunde des rheinischen Frohsinns ist, wir müssen Verzicht üben. Wir können zurzeit kaum Konzerte und Theater besuchen, die Freude im Fußballstadion bleibt uns versagt, und so ein Shoppingbummel macht unter den gegebenen Umständen ja auch keinen wirklichen Spaß. Aber es ist zurzeit die einzige Möglichkeit, dieses Virus einzudämmen und einen weiteren Lockdown zu vermeiden.

Ist es wirklich nicht zumutbar, mal für ein Jahr all diesen Freuden zu entsagen? Ganz ehrlich wundere ich mich, dass es so viele Menschen gibt, die angesichts der gesundheitlichen Bedrohung so leben wollen, als würde sie das nichts angehen. Nein, Spahns Vorstoß ist völlig angemessen – und nebenbei für die Vereine auch das richtige Signal, sich entsprechend vorzubereiten. Dylan Cem Akalin