Kommentar zum Parteitag der US-Demokraten Keine Experimente!

Washington (USA) · In normalen Zeiten würden die US-Demokraten ein enormes Risiko mit ihrem Kandidaten Joe Biden eingehen. Aber auch unter den aktuellen Bedingungen ist es eine riskante Wette, meint GA-Korrespondent Frank Herrmann.

 Joe Biden während des Parteitages der US-Demokraten.

Joe Biden während des Parteitages der US-Demokraten.

Foto: dpa/Andrew Harnik

Meist ist es ja die Sehnsucht nach dem Wandel, die amerikanische Wahlkämpfe prägt. Barack Obama, der Senkrechtstarter, der dem fast schon abgeschriebenen Senator Biden die Türen zum Comeback öffnete, indem er ihn für das Amt des Vizepräsidenten nominierte, hat es 2008 mit den Worten „Hope“ und „Change“ so simpel wie genial auf den Punkt gebracht. Und nun ziehen die Demokraten mit einem 77-Jährigen in die Schlacht ums Oval Office, der keine Aufbruchsstimmung, sondern die Rückkehr zur alten Ordnung verkörpert.

Es ist also eine durchaus riskante Wette, die die Partei abschließt. Zum einen setzt sie darauf, dass es einer Mehrheit der Wähler schon genügt, wenn ein berechenbarer Kapitän das Schiff in ruhigeres Fahrwasser führt, heraus aus den Stürmen, die Donald Trump mit seinen Twitter-Tiraden anfacht. Zum anderen hofft sie, dass die Welle populistischen Aufruhrs, die 2016 einen Geschäftsmann und Reality-TV-Star ins höchste Staatsamt spülte, durch die bittere Realität der Coronakrise gebrochen ist. Oder zumindest flacher rollt.

Vor vier Jahren profitierte Trump noch vom Nebel um seine Kandidatur. Niemand wusste mit Gewissheit zu sagen, wie er regieren würde, weshalb sich alle möglichen Hoffnungen auf ihn projizieren ließen. Selbst wer Zweifel hatte, konnte sich einreden, dass er im Amt vielleicht noch zum Staatsmann reife. Den Vorteil hat er im Herbst 2020 nicht mehr.

Gut möglich, dass Expertise und Erfahrung, auch im ungeliebten Politikbetrieb, wieder höher im Kurs stehen in einem Land, das ernüchternde Erfahrungen mit Leuten gemacht hat, die alternative Fakten auf eine Stufe mit Tatsachen stellen. Dann lieber ein seriöser, wenn auch bisweilen langweiliger Senior, der weiß, dass Politik bedeutet, dicke Bretter zu bohren. Der zudem wie der leidgeprüfte Joe Biden für die Fähigkeit zum Mitgefühl steht. Der die stolzen Institutionen der amerikanischen Demokratie kompromisslos verteidigt, während Trump den Eindruck erweckt, als wollte er sie schleifen. So geht zumindest die Rechnung der Demokraten. Die Wahl mit einem Anti-Trump zu gewinnen, der für Anstand steht und ansonsten für ein abgeklärtes „Keine Experimente!“. Darauf hat die Regie denn auch alles abgestellt auf dem Nominierungskongress.

Nur kann eben bis zum 3. November noch so viel passieren, dass eine gut inszenierte Parteitagsshow im August nichts bedeutet. Zudem hat der Ansatz, alles der Warnung vor weiteren vier Jahren Trump unterzuordnen, auch seine Schwächen. Was zu kurz kam, war die Präsentation eines Plans, was ein Präsident Biden konkret ändern würde. Welchen Ausweg weist er aus dem Corona-Dilemma? Wie gedenkt er das exorbitant teure, chronisch ineffiziente Gesundheitssystem der USA zu reformieren? Wie sieht das Konjunkturprogramm aus, das der Wirtschaft auf die Beine helfen soll? Antworten hat diese Konferenz kaum gegeben, sie stand so eindeutig im Zeichen der Polemik gegen den Amtsinhaber, dass sich das Skizzieren der eigenen Programme auf ein paar grobe Umrisse beschränkte. Auch darin liegt ein nicht zu unterschätzendes Risiko.

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