Kommentar zum Niveau der Politikersprache Kelbers Rote Karte
Meinung | Bonn · In der öffentlichen Diskussion in Deutschland ersetzt wütendes Nachhaken zunehmend differenziertes Nachdenken. Wenn Politiker, Journalisten, Kulturleute oder Religionsfunktionäre rot sehen, kommen oft reflexhafte Nazi-Analogien ins Spiel.
Was passiert hier? Die Diskussion nimmt sprachlich betrachtet totalitäre Züge an, kommentiert Dietmar Kanthak.
Als Thilo Sarrazin 2010 sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ veröffentlichte, nannte Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime den Autor einen „Nazi in Nadelstreifen“. Dabei hatte Sarrazin nur vom Recht der Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht.
Der frühere Chef der Grünen im Bundestag, Cem Özdemir, nahm sich am Donnerstag vergangener Woche die Kollegen von der AfD vor und rückte sie mit Vokabeln wie „Gleichschaltung“ und „Sportpalastrede“ in die Nähe des Nationalsozialismus 1933-1945. Ulrich Kelber von der SPD wiederum outete sich als wütender Leser von „Bild“ und „Welt“. Er drückte seine Abneigung mit Eigenschaftswörtern wie völkisch, rassistisch, anti-liberal und populistisch aus. Die Begriffe rassistisch und völkisch fand er danach selber nicht ganz angemessen.
Was passiert hier? Die Diskussion nimmt sprachlich betrachtet totalitäre Züge an. Wer sein Gegenüber – sei es AfD, „Bild“ oder „Welt“ – mit den schlimmstmöglichen Vokabeln bedenkt, signalisiert dem Publikum: Mit solchen Leuten wollen, ja: dürfen wir gar nicht mehr reden. Özdemir und Kelber befördern sich zu Schiedsrichtern des öffentlichen Diskurses und ziehen, wenn sie es für nötig halten, die Rote Karte für Meinungsfreiheit aus der Tasche. Damit schwächen sie mitnichten die AfD, aber gewiss die Diskussionskultur in diesem Land.