Kommentar Kleiner CDU-Parteitag - Müde Merkel

Berlin · Es war ein Sturm im Wasserglas: Die Muskelspiele der vier Dutzend eher jungen CDU-Funktionäre hatten mit einem Aufstand herzlich wenig zu tun. Es ist völlig legitim, sich gegen eine Benachteiligung der jungen Generation durch die Rentenpolitik der zweiten großen Koalition unter Angela Merkel zu wenden. Aber die politische Stellung der Kanzlerin ist so stark wie nie.

Merkel konnte es sich erlauben, die Delegierten des kleinen Parteitages mit einer eher technokratischen Vorstellung der Koalitionsvereinbarung zufriedenzustellen. Sie verteidigte die für die CDU heiklen Kompromisse zur früheren Verrentung und zum Mindestlohn mit der fehlenden politischen Alternative bei der Regierungsbildung. Sprich: Die SPD hätte von vornherein keine Koalition mit der Union in Erwägung gezogen. Und den riskanten, aber viel Mut erfordernden Schritt, eine Minderheitsregierung zu bilden, will die CDU-Vorsitzende aus naheliegenden Gründen nicht gehen.

Angela Merkels gestriger Auftritt war wie das Koalitionsprogramm: Enttäuschend. Deutschlands Regierungschefin will wahrscheinlich nicht die Vereinbarung mit der SPD auch noch dadurch aufwerten, dass sie dem Regierungsbündnis einen roten Faden oder ein philosophisches Dach gibt. Es geht im Kern um die Frage, wie man Deutschland in dem Spannungsfeld zwischen Wirtschaftsliberalismus und Sozialpolitik einordnen soll. Stattdessen verkrallt man sich in technische Detailfragen: Die gestrige CDU-Debatte, auch wenn die Zustimmung zum Vertrag nie in Frage stand, war ernüchternd. Die CDU wirkt von der für sie nicht so schönen Koalitionsperspektive mit den Sozialdemokraten wie gelähmt.

Weil der Weihnachtswunschzettel der Koalition episch lang geraten ist, konnte es sich Merkel erlauben, einer grundsätzlichen Frage auszuweichen: Warum die Bundesregierung die 80-Prozent-Majorität nicht zum "Durchregieren" (Merkel) nutzt und die großen Reformnotwendigkeiten anpackt. Gerade in der Frage der Bildungspolitik, der man abstrakt-theoretisch höchsten Stellenwert beimisst, gibt es drückenden Reformbedarf. Ein Beispiel: Es ist schon einigermaßen erschütternd, wenn die Frage des Kooperationsverbotes zwischen Bund und Ländern in der Bildungsfinanzierung nicht auf der Tagesordnung erscheint. Schließlich handelt es sich um eine der heftigsten Fehlentscheidungen, die die Nachkriegsgeschichte kennt.

Mit ein paar Enthaltungen ist das Stimmungsbild in der Partei präzise wiedergegeben: Man freut sich, weiter regieren zu können, hat den SPD-Klotz am Bein und muss erst lernen, mit einer Regierungschefin zu kooperieren, die Politik kleinschrittig begreift. Der Pragmatismus Merkels ähnelt dem Helmut Schmidts. Sie holt dessen Amtsdauer in wenigen Wochen ein.

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