Kommentar: Röslers Perspektiven

Die Mitglieder-Statistik gibt immer noch ein getreues Abbild der innenpolitischen Situation: Im Duell der Oppositionsparteien verlieren die Sozialdemokraten krachend den Boden unter den Füßen. Die politische Charme-Offensive der Bündnis/Grünen zahlte sich für die Öko-Partei auch dadurch aus, dass sie in Baden-Württemberg erstmals einen Ministerpräsidenten stellt.

Die Mitgliederstruktur der Linkspartei ist völlig überaltert. Die Mitgliederverluste für die CDU - die sich im siebten Amtsjahr der Kanzlerin als Regierungspartei aufreibt - sind erträglich.

Nur eine Partei stöhnt und ächzt unter der ungetreuen Anhängerschaft: Die FDP verliert dramatisch acht Prozent ihrer Mitglieder. Damit hat ein Gutteil jener Mitglieder, die im Rahmen der rauschhaften Steuerentlastungs-Bundestagswahlen 2009 in Scharen den Beitrittsantrag unterzeichnet haben, der Partei schnell wieder den Rücken gekehrt.

Die Situation für die FDP ist nicht nur mit Blick auf die Mitgliederentwicklung dramatisch. Für den Parteivorsitzenden Rösler hat sich der innerparteiliche Spielraum erheblich verengt.

Die Lageanalyse bei seinem Amtsantritt vor fast einem dreiviertel Jahr war klar: Der gebetsmühlenartige Profilierungsversuch als Steuersenkungs-Partei hatte zu einer Verengung des thematischen Angebots geführt: Die FDP wurde - beispielsweise - nicht mehr als Partei der Bürgerrechte wahrgenommen. Rösler versuchte zaghaft, seine Partei breiter aufzustellen. Er musste vorsichtig agieren, um den Eindruck eines radikalen Kurswechsels zumindest zu mildern.

Dieses ist ihm nicht einmal schlecht gelungen. Nur: Die Präsentation seines Gegenentwurfs, der ab sofort das Wirtschaftswachstum in den Vordergrund stellt, dem alles unterzuordnen sei, trägt den gleichen Fehler wie die Steuersenkungskampagne: Ein einziges Thema wird ins Zentrum gerückt, was automatisch die Wahrnehmung des durchaus breiten programmatischen Angebots der Liberalen erschwert.

Einmal ganz abgesehen davon: Der christdemokratische Koalitionspartner führt - wie SPD und Grüne schon seit langem - gerade eine hochinteressante Debatte über qualitatives Wachstum. Liberale Beiträge zu diesem Thema werden vermisst.

Rösler weiß um die Vielzahl der Baustellen bei den Freien Demokraten. Die größte: Seit gut 18 Monaten siedeln alle Umfrageinstitute die Partei weit unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde an. Das Gefühl, dass es auch ohne die FDP geht, hat sich im Bewusstsein der Wähler verfestigt.

Die FDP-Spitzenleute belegen die Schlussplätze in allen Umfragen, während die Kanzlerin in der Rolle als Euro-Krisenmanagerin Anerkennung in der Bevölkerung findet und über Popularitäts-Traumwerte verfügt. Das mag sich alles noch ändern. Aber die Lage der Liberalen ist bitter ernst.

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