Kommentar Kräftemessen

Es war weniger spektakulär als der offene Streit über Jean-Claude Juncker, aber es war mindestens ebenso wichtig: Auf ihrem jüngsten Gipfel Ende Juni hat die EU mit drei Staaten aus der Krisenzone im äußersten Osten des Kontinents Abkommen über eine enge wirtschaftliche und politische Partnerschaft geschlossen - es geht um Freihandel, Visa, Energiesicherheit, gute Regierungsführung, Förderung gesellschaftlicher Kontakte.

Die Ukraine, Georgien und Moldawien gehören (neben Aserbaidschan, Weiß-Russland und Armenien) zur 2009 geschaffenen "Östlichen Partnerschaft" der EU. Das ist, flapsig gesagt, die besondere Beziehungskiste für Staaten des einstigen Sowjetimperiums. Die Partnerschaft sollte zum einen postsowjetischen Neuankömmlingen in der Unabhängigkeit Ermutigung und Beistand bringen, damit im östlichen Vorfeld der EU Stabilität herrscht. Zum anderen wollte man allfällige Ambitionen auf raschen EU-Beitritt erst einmal abbiegen, ohne zu viel Verstimmung zu schaffen. Stets versicherte die EU, an die Adresse Moskaus gewandt, die Östliche Partnerschaft richte sich nicht gegen Russland. Doch von Anfang sahen die Russen die Partnerschaft als Versuch, eine westliche Einflusszone zu bilden.

Inneren Zusammenhalt hat die Gruppe nie gewonnen: Aserbaidschan, Weiß-Russland und auch Armenien blieben im Wesentlichen auf Moskau orientiert, Georgien und Moldawien gingen politisch auf Westkurs, die Ukraine folgte nach langem Hin und Her in den vergangenen Monaten unter den dramatischen Bedingungen von Revolution, Bürgerkrieg und Landverlust. So mutierte das vermeintliche Stabilitätsinstrument zum Schauplatz eines strategischen Kräftemessens.

Wer ist schuld? Wladimir Putin nicht allein. Es ist ein wenig heuchlerisch, wenn die EU und der Westen insgesamt Moskau vorwirft, dem alten Denken in Einflusssphären anzuhängen, während man selbst nur im Sinne universaler Werte - Freiheit und Demokratie - unterwegs sei. Natürlich hat Brüssel nicht nur den tapferen Maidan im Auge, sondern auch den potenziell ansehnlichen ukrainischen Markt mit über 40 Millionen Verbrauchern.

Dennoch kann man die Abkommen nicht nach Kreml-Logik als schäbiges Machtinstrument abtun. Schließlich hat die EU den Ost-Nachbarn die Partnerschaft nicht aufgezwungen. Es gibt, da hat Gipfelchef Herman Van Rompuy recht, "in der Ukraine eine starke Sehnsucht nach den Werten der EU: Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte und Schluss mit Korruption, Manipulation, Gewalt. Wir lagen da nicht falsch, überhaupt nicht - die Menschen wollten es so!" Weil das so ist, wäre es jämmerlich, wollte die EU angesichts des russischen Drucks jetzt darauf verzichten, die Kooperation mit der Ukraine, Georgien und Moldawien zu intensivieren.