Kommentar zu Google Lebenslänglich

Meinung | Bonn · Wer etwas im Internet postet, muss damit rechnen, dass nichts vergessen wird. Das Urteil heißt lebenslänglich. Doch das führt zu Konflikten. Politik und Gesellschaft sollten das Thema nicht allein der Justiz überlassen, kommentiert GA-Chefredakteur Helge Matthiesen.

 Der BGH entscheidet erstmals zu zwei Klagen gegen Google zum „Recht auf Vergessenwerden“ im Internet auf Basis der europäischen Datenschutz-Grundverordnung. (Symbolfoto)

Der BGH entscheidet erstmals zu zwei Klagen gegen Google zum „Recht auf Vergessenwerden“ im Internet auf Basis der europäischen Datenschutz-Grundverordnung. (Symbolfoto)

Foto: dpa/Lukas Schulze

Das Netz vergisst nichts. Das ist sehr leicht dahin gesagt. Wer mit irgendwelchen Themen, die ihn belasten, im Netz steht, der hat ein Urteil, das heißt lebenslänglich. Wenn ein kleiner oder großer Fehler im Netz aktenkundig wurde, dann ist der oft nicht mehr zu tilgen. Inzwischen weiß jeder, dass selbst unvorsichtig gepostete Partyfotos einen langen Nachhall haben. Ein Neuanfang ist für Betroffenen kaum mehr möglich.

Selbst wer eine Strafe abgesessen hat, muss oft weiter mit ihr leben. Das gilt auch für unberechtigte Vorwürfe. Google sperrt nur, wenn es dazu gezwungen wird und das kann dauern. Ein Neuanfang gelingt quasi nur mit einem neuen Namen. Wer klug ist, unterteilt früh in sein wahres Leben und seine Existenz im Netz. Die lässt sich dann bewusst gestalten.

Bisher ist es noch nicht gelungen, einen wirklichen Ausgleich zwischen den Informationsinteressen der Öffentlichkeit und den Rechten der Betroffenen zu finden. Gerichte tun sich weiter schwer mit dieser Materie, denn die Grauzonen sind groß. Es fehlt eine Instanz, die alten Sünden gnädig dem Vergessen überantworten könnte. Keine Beichte hilft. Schiedsgerichte oder Ombudsstellen sind im Internet nicht vorgesehen.

Hilfreich wären sie schon. Wenn das Gedächtnis lückenlos organisiert ist, braucht es vielleicht eine Art eingebautes Verfallsdatum. Ist es verstrichen, wandert die Information in einen tieferen Speicher, den nicht mehr jeder ohne Weiteres betreten darf. Analoge Archive machen das schon immer, und sperren Akten erst einmal pauschal für 30 Jahre.

Von solchen Ideen sind wir weit entfernt. Politik und Gesellschaft sollten das Thema nicht allein der Justiz überlassen. Es geht schließlich um eine große Frage: Um Schuld, Vergebung und wie wir miteinander leben wollen.

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