Kommentar zu den Neuwahlen in Griechenland Letzte Chance

An diesem Montag beginnt Griechenlands letzte Chance. Auch wenn Alexis Tsipras laut erster Prognosen wieder die Nase vorne hat, bleibt das Ergebnis eine Ohrfeige derer, für die er als Hoffnungsträger ausgespielt hat.

Aus dem Kämpfer für ein stolzes, selbstständiges Griechenland ist erst ein wortbrüchiger Politiker wie viele vor ihm geworden. Nun muss er sich als Reformer bewähren und damit all das tun, für das er nie gewählt werden wollte: das Land umbauen, die Verwaltung reformieren, die Privatisierung anschieben - und zuerst einmal eine Koalition schmieden, die endlich einmal vier Jahre hält.

Das kann nur funktionieren, wenn der mutmaßliche neue Regierungschef, der auch der alte war, seine Ideologie in die Ecke stellt und ein parteiübergreifendes Bündnis bildet, das über eine breite Mehrheit verfügt - breit genug, um den Griechen nicht nur viel abzuverlangen, sondern auch Hoffnung zurückzugeben.

Europa kann mit dem Wahlergebnis in Athen leben. Natürlich wird Tsipras, wenn er denn tatsächlich in den kommenden Tagen eine Regierung bilden kann, an den Vereinbarungen, die er selbst unterschrieben hat, festhalten - und dennoch ständig versuchen, sie zu verbessern.

"Schuldenmaßnahmen" stehen an, also Schritte, um dem Land die Last einer öffentlichen Verschuldung zu nehmen, die zwei Mal so hoch wie die Jahreswirtschaftsleistung liegt. Griechenland zahlt zwar bisher pünktlich seine Darlehen zurück, aber mit geliehenem Geld. So kann man auf Dauer aber keine Überschüsse erwirtschaften.

Griechenland hat sich in den vergangenen Jahren mehr und mehr von allem entfernt, was man europäischen Standard nennt. Besonders augenfällig ist das, neben der Wirtschaft und den Staatsfinanzen, beim völligen Versagen im Umgang mit arbeitslosen Jugendlichen und Flüchtlingen.

Schon seit Jahren herrschen in den Auffanglagern dermaßen unmenschliche Zustände, dass einige Mitgliedstaaten wie Deutschland nicht einmal mehr dorthin abschieben. Tsipras und eine von ihm geführte Regierung müssten dieses Land generalsanieren.

Europa hält für die Hellenen viel bereit. Abgesehen von den jährlichen Subventionen in Höhe von zehn bis zwölf Milliarden Euro sind weitere 35 Milliarden aus dem Juncker-Konjunkturprogramm zugesagt. Damit diese wirken können, braucht man einen effizienten Staat, eine Verwaltung, die Unternehmer einlädt und nicht durch sinnfreie bürokratische Auflagen abschreckt.

Solche Umbauten der Strukturen muss man angehen, anstatt Geldgeber zu beschimpfen und von mangelnder Eigeninitiative abzulenken. Tsipras mag sich nach dieser Abstimmung erneut als von den Massen getragen fühlen. Doch ein guter Regierungschef kann er ab jetzt nur dann sein, wenn er unbequem, konsequent und stur ein Ziel verfolgt: Griechenland braucht einen Neuanfang.

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