Kommentar Mehrheit für Trittin und Göring-Eckardt - Grüne Pragmatiker

Die Grünen sind älter und ruhiger geworden, für eine Überraschung sind sie aber immer noch gut. Die Parteibasis hat mit dem Votum für Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin eine klare und kluge Entscheidung getroffen, die mit Blick auf die Bundestagswahl gleich mehrere Erkenntnisse bringt.

Zum einen sind die Grünen endgültig in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Auch die Basis hat in ihrer Mehrheit keine Lust mehr auf schrille und laute Spitzenleute à la Claudia Roth. Die Partei soll nicht mehr auf Krawall gebürstet sein, sondern sie soll sich professionell und sachlich an Inhalten und Themen ausrichten. Und wenn das dann auch noch Macht und Posten bringt, werden die gern mitgenommen. So, wie es die Baden-Württemberger mit dem grünen Ministerpräsidenten Kretschmann und dem neuen Stuttgarter Oberbürgermeister Kuhn vorgemacht haben. Durch diese realistisch-pragmatische Ausrichtung werden die Grünen zwar ein Stück weit langweiliger, andererseits aber auch berechenbarer und damit für weitere Wählerschichten interessant.

Da wären unter anderem die enttäuschten, wertkonservativen Unionswähler, die in der Merkel-CDU keine Heimat sehen und sich auch von der Arbeit der christlich-liberalen Regierungskoalition abwenden. Diese Wechselwähler suchen genauso eine Option wie die von der Koalition enttäuschten Liberalen oder sogar potenzielle SPD-Sympathisanten, denen die sozialdemokratische Gemengelage um Kandidat Steinbrück und dessen innerparteiliche Kritiker nicht geheuer ist.

Das Duo Trittin und Göring-Eckardt ist das beste, das die Grünen derzeit zu bieten haben. Trittin muss man nicht mögen. Er hat einen Hang zur Arroganz, verbreitet phasenweise eine intellektuell-zynische Kühle, die manchen innerhalb und außerhalb der Partei abschreckt. Dennoch ist Trittin ein kluger Kopf, politisch erfahren, strategisch den Grünen voraus. Ein gewiefter Taktiker, der sich unter anderem in der Zusammenarbeit mit dem Machtmenschen Gerhard Schröder in Niedersachsen und in der Bundesregierung weiterentwickelt hat.

Katrin Göring-Eckardt ist das gute Gewissen der Grünen. Ausgleichend, politisch nicht vorbelastet, überzeugte sie als Bundestagsvizepräsidentin ebenso wie als Präses der Evangelischen Kirche. Eine besonnene Frau, die ihre Wurzeln in der Bürgerrechtsbewegung der DDR hat und die Grünen damit auch im Osten stärken könnte.

Das Ergebnis der Grünen-Urwahl wird den Bundestagswahlkampf noch spannender machen und dürfte insbesondere bei Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Zufriedenheit registriert worden sein. Denn mit Trittin und Göring-Eckardt treten zwei Realos an der Spitze an, mit denen eine schwarz-grüne Koalition zumindest nicht ausgeschlossen wäre. Das schafft der Kanzlerin eine zusätzliche Machtoption, von denen sie derzeit nicht viele hat - zumal ein Einzug der FDP in den Bundestag aus heutiger Sicht alles andere als sicher ist.

Das Grünen-Votum war aus der Not heraus geboren. Die Partei hatte sich im Dickicht ihres Geschlechter- und Richtungsproporzes verheddert und fand nur noch diesen Ausweg. Jetzt haben die Grünen eine klare Richtung und neuen Schwung. Auch das gehört zu den bemerkenswerten Erkenntnissen dieser Urwahl.

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