Kommentar Merkels Wiederwahl - Die ewige Kanzlerin

Werden es volle vier Jahre in der dritten Amtszeit Angela Merkels? An der physischen Leistungsfähigkeit und dem emotionalen Engagement mangelt es der mit überraschend großer Koalitionsmehrheit bestätigten Regierungschefin gewiss nicht.

Aber: Sie hat aus nächster Nähe erlebt, wie eine außenpolitisch gewiss historische Persönlichkeit wie Helmut Kohl mit dem Beharren auf einer fünften Kanzlerkandidatur 1998 für die CDU und sich selbst eine unmögliche Situation schuf. Langzeit-Kanzler werden irgendwann lästig, medial schwer vermittelbar, und sie verlieren an Durchsetzungskraft.

Das weiß Merkel, aber sie weiß auch, dass sie vor schwierigen Zeiten steht. Weil sie ein Land verwaltet, dem es zwar politisch und wirtschaftlich - gerade im internationalen Vergleich - verhältnismäßig gut geht, dessen Probleme aber nicht weniger belastend sind.

Da sind die Schwierigkeiten in der Bildung, dem wertvollsten Kapital für die gesellschaftliche Zukunft: Wohl kein Objekt wäre für eine 80-Prozent-Mehrheit im Bundestag geeigneter als die Beschneidung der Auswüchse des Föderalismus. Die Energiewende steht auf der Kippe - eine hochbrisante Herausforderung.

[kein Linktext vorhanden]Das deutsche Rentensystem ist nicht zu Ende gedacht, was langfristige Folgen für die Finanzierung einer immer älter werdenden Gesellschaft hat. Die Steuereinnahmen sprudeln zwar kräftig; gleichzeitig fördert das ein gesellschaftliches Anspruchsdenken, das Bund, Länder und Gemeinden nicht einmal annähernd erfüllen können. Zumal die finanzielle Ausstattung der Kommunen absolut alarmierend ist. Es gibt - egal wo man hinschaut - Baustellen über Baustellen.

Das wäre weiter nicht tragisch, wenn der politische Konsens zwischen Union und SPD zumindest die Konturen eines roten Fadens im Koalitionsvertrag erkennen ließe. Nichts davon ist zu sehen. Der Koalitionsvertrag ist pragmatisch - nicht mehr und nicht weniger. Er lässt kein Konzept in der Frage erkennen, wo die Gesellschaft am Ende dieses Jahrzehnts stehen soll: Gilt das Versprechen der "sozialen" Marktwirtschaft noch?

Wie weit kann sich die große Koalition in Sachen Wirtschafts-Liberalisierung trauen? Der Streit um das Selbstverständnis muss zwischen SPD und CDU/CSU zügig geführt werden. Denn eine Legislaturperiode hat nur vier Jahre. Die tatsächlichen zeitlichen Gestaltungsfenster sind wegen der diversen Landtagswahlen wesentlich enger. Und ohne die Besinnung auf politische Prinzipien wird es nicht gehen.

Persönliche Popularität trifft also auf politischen Problemballast: Merkel steht gewiss nicht vor einem Scherbenhaufen. Aber die wirtschaftliche Entwicklung ist insgesamt ungewiss. Was wird aus der Euro-Krise? Die Regierungschefin steht vor einer riskanten Kanzlerschaft.

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