Kommentar zur Brexit-Einigung Mit Verfallsdatum

Der neue Deal zwischen der EU und dem britischen Parlament eröffnet die Chance auf einen pünktlichen und geregelten Brexit. Der Vertrag klärt nichts, kommentiert GA-Korrespondent Detlef Drewes.

 Der britische Premier Boris Johnson mit Jean-Claude Juncker und Michael Barnier.

Der britische Premier Boris Johnson mit Jean-Claude Juncker und Michael Barnier.

Foto: AP/Francisco Seco

Erleichterung, Freude, Optimismus über ein gelöstes Problem – all das würde man erwarten, wenn ein Deal geschlossen wurde. Doch nichts davon ist angesichts dieser Brexit-Vereinbarung zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich angebracht. An die Stelle einer relativ einfachen Backstop-Lösung zur Sicherung des Friedens in Nordirland und zum Schutz des Binnenmarktes soll nun ein kompliziertes bürokratisches Zoll- und Steuersystem treten, dessen juristischen Feinheiten noch nicht vereinbart wurden. Das macht den ausgehandelten Vertrag zu einem Blankoscheck, der in wesentlichen Teilen über das frühere Austrittsabkommen nicht hinausgeht.

Bei der in politischen Konflikten wichtigen Frage, wem das Abkommen nützt, gibt es nur eine Antwort: Boris Johnson. Der britische Premierminister hat die Gemeinschaft endlich dort, wo er sie haben wollte: Sie ist auf ihn zugegangen, so dass er sich nun zu Hause als derjenige präsentieren kann, der den Brexit durchzieht und sogar einen Deal vorweisen kann – welch ein Geschenk für einen Politiker, der längst im Wahlkampf-Modus ist. Zwar versprach Johnson dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, er werde die Vereinbarung am Samstag durch das Unterhaus bringen. Das war zumindest Selbstüberschätzung, wenn nicht gar eine Lüge. Bei allem Respekt vor dem Engagement der europäischen Verhandlungsdelegation um ihren Chef Michel Barnier sollte man nüchtern genug bleiben und feststellen dürfen, dass dieser Deal eben nur das ist, was Johnson zugelassen hat und was ihm nützlich erscheint. Der Vertrag klärt nichts, er beseitigt die Gefahr eines chaotischen Brexits ohne Abkommen ebenso wenig wie er einen geordneten Austritt leichter macht.

Die Staats- und Regierungschefs wissen das. Sie ahnen, dass das Abkommen bereits am Samstagabend nach der Unterhaussitzung nur noch Makulatur sein könnte. Aber in dem immer noch laufenden Spiel, wer wem am Ende die Schuld zuschieben kann, macht dieser Deal es den Europäern leichter zu sagen: Wir haben alles gegeben. Was übrigens stimmt. Aber vielleicht wird dieser Vertrag ja auch nur ein weiterer Baustein auf dem Weg zu einem zweiten Referendum, an dessen Ende eine Mehrheit die britische Regierung zwingt, den ganzen Brexit abzublasen. Dann hätte er wenigstens diesen Sinn erfüllt.  Das mag nur eines von mehreren möglichen Szenarien sein, aber kein unwahrscheinliches.

Dennoch zeigt das erbitterte und schier endlose Ringen um eine Vereinbarung, dass nunmehr das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Mehr Miteinander zur Regelung der offenen Brexit-Fragen geht nicht – weder von Seiten Brüssels und schon gar nicht von der Londons. Denn vermutlich werden beide Partner erst bei der genauen Lektüre feststellen, wie viel sie vom jeweils anderen verlangen. Die britischen Behörden müssen europäisches Steuerrecht neben den nationalen Abgabenordnungen anwenden – und sie bleiben genau genommen an die Sozial- und Umweltstandards der Union gebunden. Eigentlich wollte man genau das vermeiden. Die Europäer wiederum geben jede Verantwortung für die Kontrollen an einer nur gedachten Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland ab – und vertrauen im Übrigen dem nordirischen Regionalparlament, das seit Jahren nicht mehr getagt hat.

Der Deal beschreibt eine politische Realität, die nicht oder bestenfalls rudimentär existiert, und er wird auch deshalb zu mehr Ärger und Reibereien führen als zu einem geregelten Miteinander. Das ist die bittere Analyse an einem Tag, von dem man sich eine Lösung erhofft hatte.

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