Kommentar Nach dem Super-Tuesday in den USA - Am Scheideweg

Wenn in Deutschland Parteien den Korridor ihrer Gemeinsamkeiten verlassen und Extremen auf den Flügeln schöne Augen machen, setzen früher oder später heilsame Korrektive ein. Autoritäten aus früherer Zeit spielen dabei nicht selten eine zentrale Rolle.

Die FDP hat Hans-Dietrich Genscher, die CDU Altkanzler Helmut Kohl und die Sozialdemokratie darf sich des ewigen Mahners Helmut Schmidt gewiss sein. Amerika hat niemanden.

Im Zwei-Parteien-System der USA versagen die Selbstheilungskräfte. Was das bedeutet, ist in diesen Wochen im Ringen der Konservativen um den richtigen Kandidaten gegen Amtsinhaber Barack Obama zu besichtigen. Im täglich schmutziger werdenden Vorwahlkampf, in dem christliche Werte missbräuchlich als Waffen eingesetzt werden, verkommt die ehrwürdige "Grand Old Party" zur Karikatur.

Die Republikaner, die denn Staat seit Lincolns Zeiten mitgetragen haben, erscheinen heute so staatszersetzend wie nie. Mitt Romney, der ebenso ungeliebte wie aussichtsreichste Kandidat, spielt als ehemaliger Manager täglich mit der Verächtlichmachung der politischen Instanzen - wissend, dass er im Falle eines Sieges am 6. November ohne die Gefolgschaft von Kongress und Senat nicht mehr sein würde als der Frühstücksdirektor im Weißen Haus.

Rick Santorum, sein Haupt-Widersacher, biedert sich bei den Ultra-Religiösen auf infame Weise als Kreuzzügler gegen alles an, was liberal klingt. Liberal = gottlos = sozialistisch. Die Gefallsucht gegenüber einer radikalisierten und intellektuell rückständigen Stammwählerschaft, die sich in der Tea-Party-Bewegung sammelt und für die politische Klasse in Washington nur Abscheu empfindet, ist beängstigend. Sie weckt Zweifel an der Politikfähigkeit der Republikaner.

Die Wahl am 6. November wird von moderaten, unabhängigen Wählern entschieden, von Frauen und der rasant wachsenden Latino-Bevölkerung. Von Menschen, die den ideologisch verblendeten Kulturkämpfern mit Distanz und Misstrauen begegnen, weil die Schein-Debatten mit ihrem Alltag rein gar nichts gemein haben.

Diese Wähler bekommen den selbst verschuldeten Abstieg der Supermacht USA wirtschaftlich hautnah zu spüren; ob an der Tankstelle, auf der Bank oder bei de Ausgabe von Essensmarken. Sie haben live miterlebt, wie die Einkommen der Armen sanken und die Mittelschicht auf der Stelle trat, während sich die Vermögen der Super-Reichen obszön aufblähten.

Und allmählich setzt sich bei ihnen die Überzeugung fest, dass es die Republikaner waren, die über drei Jahrzehnte eine gigantische Umverteilung von unten nach oben betrieben haben und jetzt dreist "Haltet den Dieb!" rufen. Dieser Befund treibt sie nicht zwangsläufig in die Arme der Demokraten. Aber viele in die politische Apathie. Die Gründerväter würden sich im Grab umdrehen.

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