Nach der Afghanistan-Konferenz in Bonn: Trotz allem

Der Wunsch nach schnellen Lösungen führt zu vorschnellen Urteilen. Beispielsweise diesem: Das Engagement der Staatengemeinschaft für Afghanistan habe sich nicht gelohnt, es gebe weder Demokratie noch Sicherheit noch Wohlstand.

Und weil diese Ziele in zehnjähriger Arbeit verfehlt worden seien, sei es wünschenswert, dieses unproduktive Engagement einzustellen. Wer so argumentiert, verkennt die Realitäten im Land am Hindukusch, verkennt die Komplexität des Problems, vor allem aber die Gefährdung, die von dieser Region weiter ausgehen kann.

Deshalb war es gut, dass die Afghanistan-Konferenz gestern ein so eindeutiges Bekenntnis zur Solidarität mit Kabul abgelegt, aber gleichzeitig deutlich gemacht hat, dass diese Solidarität keine Einbahnstraße sein kann, dass Kabul also, wie man heute sagt, "liefern" muss. Und zwar nicht nur Bekenntnisse zu Recht und Gesetz, sondern auch Taten. Der afghanische Präsident selbst ist in gewisser Weise Beispiel für die Ambivalenz der Lage.

Die Themen Drogenmafia und Korruption wurden im Plenarsaal von Bonn überraschend offensiv angesprochen. Auch die Vertreter der afghanischen Zivilgesellschaft trauten sich, auf diese wunden Punkte, die auch wunde Punkte im Karsai-Clan sind, besonders deutlich hinzuweisen. Und es ist kein Zufall, dass am selben Tag Meldungen die Runde machen, Karsai denke an Verfassungsänderungen, um sich eine weitere Amtszeit zu ermöglichen, was die geltende Verfassung ausschließt.

Die zwei Beispiele sind von unterschiedlicher Qualität, zeigen aber sehr deutlich, wie komplex Lösungen in einem Land sein müssen, in dem man eben nicht einfach nach Tätern und Opfern unterscheiden kann. Gewiss, da gibt es partiell Klarheiten, etwa die, dass es Fortschritte bei Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und vor allen Dingen bei den Rechten der Frauen gibt.

Aber auch diese Fortschritte fallen, je nach Region, sehr unterschiedlich aus. Für die Staatengemeinschaft ist zentral, dass die Terrorgefahr, die von Afghanistan (und Pakistan) ausgeht, endlich gebannt wird. Die Taliban spielen ganz erkennbar auf Zeit, weil sie wissen, dass die internationalen Kampftruppen in drei Jahren das Land verlassen haben werden.

Mit diesem Datum 2014 verbunden ist im Westen die Erwartung, dass das Engagement für Kabul sinken kann. Das ist in mehrfacher Hinsicht eine Illusion. Nach den guten Worten von Bonn und den gegenseitigen Verpflichtungserklärungen wird es gehörigen Drucks hinter den Kulissen bedürfen, um Kabul auf Kurs zu bringen. Behutsam, aber entschieden. Und auch der Glaube, dass es nach 2014 billiger werde, wird sich als Irrglaube erweisen: Es wird weiter militärisches Engagement geben müssen und das zivile, das Entwicklungsengagement wird steigen müssen. Trotz allem.

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