Kommentar Neue Friedensgespräche in Nahost - Felsen auf dem Weg

Für viele Israelis sind dies schmerzliche Tage: Die Bereitschaft ihrer Regierung, über 100 palästinensische Gefangene freizulassen, unter denen sich auch Mörder von Familienangehörigen befinden, erregt bei den Hinterbliebenen Wut und Empörung. Premier Benjamin Netanjahu hat sich dazu durchgerungen als Geste des guten Willens im Rahmen der Nahost-Friedensgespräche, die diese Woche nach dreijähriger Pause wieder aufgenommen werden sollen.

Man darf die Geste nicht unterschätzen. Auch wenn die Verurteilten schon seit 20 und mehr Jahren im Gefängnis sitzen, handelt es sich nicht um einen Gefangenenaustausch. Im Gegenzug bekommt Israel von den Palästinensern erst einmal nur Verhandlungen. Und das unerträgliche Wissen, dass die Freigelassenen bei ihrer Heimkehr als Märtyrer gefeiert werden. Aber in der Welt der Diplomatie gehören vertrauensbildende Maßnahmen dazu. Wesentlich schwieriger wäre es für Netanjahu gewesen, in seiner Koalition etwa ein Einfrieren des Siedlungsbaus im Westjordanland durchzusetzen, zumal er angekündigt hatte, Friedensgespräche nur ohne Vorbedingungen von palästinensischer Seite zu akzeptieren.

Bei den Palästinensern ist das Misstrauen groß, Israel könnte sie mit den Verhandlungen nur hinhalten, um sie am Ende mit windelweichen Kompromissen abzuspeisen. Sie wollen ein endgültiges Abkommen, klar definierte Grenzen und staatliche Autonomie, die den Menschen wieder volle Bewegungsfreiheit gibt und die wirtschaftlichen Beschränkungen aufhebt. Die instabile Lage in den Nachbarländern, der Bürgerkrieg in Syrien und die Mullahs in Teheran haben neue Konstellationen für Israel geschaffen, deren Risiken schwer zu kalkulieren sind. Ein Ende der Besatzung und eine Aussöhnung mit den Palästinensern könnte wenigstens diesen politischen Konflikt beseitigen und zum Nukleus einer jüdisch-arabischen Kooperation werden, die auf die Nachbarn ausstrahlt.

Es ist ja nicht so, dass die israelische Demokratie, die erfolgreiche Wirtschaft und der Erfindungsreichtum ihrer Wissenschaftler keine Anziehungskraft für Araber besitzen. Der ägyptische Tourismus leidet sehr darunter, dass die israelischen Nachbarn nicht mehr kommen. Mit Erstaunen stellte kürzlich die israelische Öffentlichkeit fest, dass mehr Studenten an Kairoer Universitäten Hebräisch lernen als gedacht. Welches Potenzial wird entstehen, wenn die Menschen erst einmal regelmäßige Kontakte haben?

Die Hürden für einen Frieden sind immens. Nicht Steine, sondern Felsbrocken sind aus dem Weg zu räumen. Wie wird der Status von Jerusalem aussehen, das Israelis und Palästinenser als ihre Hauptstadt beanspruchen und das Juden und Moslems heilig ist? Welche Regelung gibt es für die über fünf Millionen palästinensischen Flüchtlinge? Und wie wird die Sicherheit Israels garantiert? Ein israelischer Familienvater, der seine schwangere Frau und den Sohn bei einem Terroranschlag verloren hat, schrieb kürzlich: Wenn die Freilassung des Mörders seiner Familie den Weg zum Frieden bereite, wolle er diesen Preis schweren Herzens zahlen. Auch Netanjahu weiß, was auf dem Spiel steht.

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