Kommentar Neue Pisa-Studie - Bildungszwerge

Das Land der Dichter und Denker kommt nicht vom Fleck, allen Sonntagsreden zum Trotz, die meinen, Bildung sei unser einziger nachhaltiger Rohstoff und solle doch gefördert werden. Dass zu wenig passiert, wurde manchem nach dem ersten Pisa-Schock im Jahr 2001 und vielen folgenden Rankings klar, bei denen deutsche Schüler im Vergleich zu ihren Kollegen in anderen Ländern schlecht abschnitten.

Der Exportweltmeister ein Bildungszwerg? Dieser Eindruck entsteht nun auch bei der neuesten Pisa-Studie, die Erwachsene unter den Aspekten Allgemeinwissen und Alltagsfähigkeit einbezieht.

Der Befund ist erschütternd: Schlechtes Textverständnis und Lesevermögen, Mängel bei den Grundrechenarten kennzeichnen viele deutsche Erwachsene, die sich damit nur im internationalen Mittelfeld bewegen. 12,6 Prozent der 16- bis 65-Jährigen können keine Computer-Maus bewegen, nur 36 Prozent schaffen es, unfallfrei über Webseiten zu navigieren.

Das sind keine exotischen Wissensfelder, sondern Kernbereiche des täglichen Lebens, Schlüsselkompetenzen für Job und Freizeit. Woher kommt es, dass uns Japaner und Finnen in dieser Altersspanne wissensmäßig so überlegen sind? Ihr Vorsprung entspricht einer Lernleistung von vier bis fünf Schuljahren.

Die Erkenntnisse der aktuellen Studie sind natürlich alarmierend, aber sie unterscheiden sich tendenziell nicht von den Bildungs-Hiobsbotschaften, die die Deutschen seit 2001 immer wieder bekommen. Hat man daraus gelernt? Nein. Hat man sich die Mühe gemacht, wirklich gründlich nach den Ursachen zu forschen, Schlüsse zu ziehen und diese auch umzusetzen? Nein, jedenfalls nicht mit der nötigen Konsequenz. Es ist wohlfeil, vermeintlich ideale Lernbedingungen und ein offenbar besonders förderliches soziales Umfeld bei den Finnen ins Feld zu führen oder den Erfolg der Japaner als stupide Paukerei in einem autoritären Leistungssystem zu diskreditieren. Auch kann man zu Recht Fragestellungen und Schlüsse der OECD-Studie kritisieren.

Aber: Warum tut sich das deutsche Bildungssystem so schwer? Auf diese Frage sollte man das Augenmerk richten. Denn auch ohne Pisa drängen sich die Probleme auf. Es gibt zu viele Schulabbrecher und Sitzenbleiber, es gibt eine soziale Schieflage, die zu viele Menschen ins Bildungs-Abseits rückt und abhängt. Wir haben zu wenige Schulen mit Ganztagsangeboten, eine zu geringe Durchlässigkeit der Schulsysteme, ein G-8-Gymnasium, das zu viele Bildungslücken reißt.

Über zehn Jahre Pisa, das wäre die Gelegenheit zu einer ehrlichen, selbstkritischen Bilanz. Zwar lässt sich herauslesen, dass der Pisa-Schock von 2001 offenbar Früchte getragen hat, zumindest schneiden die jungen Menschen etwas besser ab als die älteren. Aber das kann nicht genügen.

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