Kommentar NSA-Affäre - Neubeginn tut not

Eine Enttäuschung bleibt eine Enttäuschung. Auch wenn sie sich lange angekündigt hat. Amerikas Präsident, vor fünf Jahren gestartet als Erneuerer einer Weltmacht, der unter George W. Bush bei der Wahrung ihrer Sicherheitsinteressen der Verstand und das menschliche Maß abhanden gekommen war, beugt sich der Angstmacher-Industrie der Geheimdienste, die sich längst zu einem Schatten-Regime ausgewachsen hat.

Es wird keinen echten amerikanischen Frühling im Sinne eines besseren Datenschutzes geben, von dem auch der Rest der westlichen Welt profitieren könnte. Vor allem das mit Ausnahme Großbritanniens zwischen Trotz und Hilflosigkeit pendelnde Europa.

Der fortwährende Ausnahmezustand, den sich die USA seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 verordnet haben, bleibt die Richtschnur allen Handelns. Bei einer Gefahrenabwehr, die de facto weder Landesgrenzen noch politische Trennlinien anerkennt. Und die sich folglich auch nicht wirklich verpflichtet fühlt, Staaten, Bürgern oder Parlamenten wahrheitsgemäß rückstandslos Rechenschaft abzulegen.

Die NSA hat gewonnen. Mit den prozeduralen Reförmchen, die Barack Obama ankündigt, viele dazu mit Übergangsfristen und ungewissem Ausgang, weil das Parlament sie ins Niemandsland strecken könnte, kann der milliardenschwere Technologieführer unter den Geheimdiensten dieser Welt gut leben. Selbstverständlich wird die NSA das Gegenteil behaupten.

Das konnte nur funktionieren, weil der Präsident im nationalen Gespräch unterließ, was zwingend geboten gewesen wäre: eine schonungslose Analyse, die mit Legenden und Schutzbehauptungen aufräumt. Steht der unvorstellbare Datensammelaufwand der NSA moralisch-ethisch, finanziell und politisch in einem angemessen Verhältnis zum Ertrag? Wie oft und wie substanziell wurde die gesetzlich geschützte Privatsphäre von Amerikanern und Ausländern verletzt? Hat der Überwachungswahn wirklich in nennenswertem Umfang Informationsvorsprung kreiert und Terror verhindert? Oder wie oft war traditionelle Ermittlungsarbeit der entscheidende Faktor?

Wer diesen Fragen auf den Grund geht, wer die verblüffend frechen Lügen hoher NSA- und Regierungsfunktionäre aus den vergangenen Monaten rekapituliert, kommt zu dem Schluss, dass ein Neubeginn not tut. Keine kosmetische Korrektur. Der Datenberg ist das Problem. Nicht, wer ihn verwaltet. Obama hatte diesen Weg nie im Auge. Er sieht bis heute keinen Missbrauch. Er mag die NSA unterm Strich, so wie sie ist.

Dahinter steht unter anderem eine innenpolitische Kosten-Nutzen-Rechnung. Im November sind Halbzeitwahlen im Kongress. Die Axt an die NSA zu legen, könnte zu Ungunsten der Demokraten enden.

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