Kommentar zu Idlib Ohne Skrupel

Meinung | Idlib · Der Waffenstillstand in Syrien ist bereits trügerisch. Nur wer will diesem Frieden zwischen Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan trauen, kommentiert unsere Autorin.

Der russische Präsident Wladimir Putin (r.) und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan haben eine trügerische Waffenruhe vereinbart.

Foto: dpa/Pavel Golovkin

Zwei ziemlich beste Kriegsgegner schließen einen Waffenstillstand. Nur wer will diesem Frieden zwischen Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan trauen? Und vor allem: Wie lange hält diese Waffenruhe, die bei weitem nicht die erste in dem Bürgerkriegsland ist? In Syrien stehen Putin und Erdogan auf unterschiedlichen Seiten, auch den Konflikt in Libyen befeuern Russland und die Türkei mit ihrer Unterstützung für unterschiedliche Lager seit langem zuverlässig. Was immer sie mit ihrer Politik anrichten: Frieden hat sie in beiden Fällen nicht gebracht, sondern nur noch mehr Leid, mehr Not, mehr Tote, mehr Verzweiflung.

Dazwischen steht eine Europäische Union, die seit Jahren sowohl in Syrien wie auch in Libyen total versagt und sich in einer unbeschreiblichen Tragödie auf die Zuschauerrolle zurückzieht. Es ist beschämend. Die EU-Außenminister haben es bei ihrem jüngsten Treffen in Zagreb wieder nicht geschafft, das Wort „Sanktionen“ in ihre Erklärung einzubringen. Halbherzige Appelle ziehen weder bei Putin noch Erdogan. Beide reagieren, wenn überhaupt, auf Druck und Härte. Die Handlungsunfähigkeit der EU auf diesem Feld ist offensichtlich. Europa hat damit eine Mitverantwortung für das nächste Flüchtlingsdrama, das sich gegenwärtig an der griechisch-türkischen Grenze abspielt.

Es sind erhebliche Zweifel angebracht, dass aus dieser jetzt vereinbarten Feuerpause zwischen Putin und Erdogan tatsächlich ein echter Waffenstillstand für die Menschen in Syrien wird, die dort und in Flüchtlingslagern außerhalb des Landes unter erbärmlichen Bedingungen hausen. Die Großmacht Russland und die regionale Hegemonialmacht Türkei verfolgen ihre Interessen ebenso skrupellos wie rücksichtslos. Russlands Präsident Putin ist in den vergangenen Jahren nicht dadurch aufgefallen, dass ihn das Schicksal der geschundenen Zivilbevölkerung in Syrien (oder sonstwo) irgendwie interessiert hätte. Die russische Luftwaffe bombte der syrischen Armee von Machthaber Baschar al-Assad den Weg auf dem Boden frei. Jetzt fehlt zur Rückeroberung der Kontrolle noch die letzte Rebellenprovinz Idlib.

Der türkische Präsident Erdogan ist gleichfalls kein größerer Menschenfreund als Putin. Die Kurden bekämpft er mit aller Härte – auch auf fremdem, auf syrischem Staatsgebiet. Er riegelt die Grenze nach Syrien ab und treibt der EU aktuell Tausende Flüchtlinge zu. Ein zynisches Spiel. Wenn es Putin und Erdogan mit der Waffenruhe ernst meinen würden, dürften sie eigentlich nichts gegen eine Flugverbotszone über Idlib haben. Wenigstens hier könnte sich die EU mit einer Initiative für eine solche Flugverbotszone profilieren, doch sie unterlässt auch nur den Versuch, weil Russland den Beschluss für eine solche Flugverbotszone im UN-Sicherheitsrat zuverlässig blockieren würde. Auch diese Waffenruhe existiert nur auf dem Papier. Der Weltsicherheitsrat ist blockiert, die EU bleibt außen vor. Doch die Flüchtlinge werden sich ihren Weg nach Europa suchen, weil dieser Weg für sie immer noch besser ist als der Tod in Syrien.