Kommentar Opposition im Fall einer großen Koalition - Schwere Zeiten

Berlin · Wenn man die Mütter und Väter des Grundgesetzes noch fragen könnte, sie hätten sich ein anderes Kräfteverhältnis im Bundestag gewünscht als die Dominanz einer großen Koalition. Nun gut, eine große Koalition könnte, nein, sie sollte große Probleme lösen. Nichts anderes wäre ihr Regierungsauftrag.

Doch wer die halbherzigen Ansätze von CDU, CSU und SPD bei den wirklich großen, den zukunftsweisenden Themen Rente und Gesundheit sieht, der darf heute schon ahnen: Auch diese große Koalition wird nicht die Kraft haben, bei Rente und Gesundheit den tiefen Schnitt zu wagen, wo doch die Sozialsysteme einer stetig alternden Gesellschaft mittelfristig nichts anderes vertragen, als alle potenziellen Beitragszahler zu versammeln, also auch Beamte, Selbstständige und Politiker.

Wenn die SPD-Basis an diesem Wochenende dem Koalitionsvertrag zugestimmt haben sollte, regiert im Bundestag eine Übermacht von CDU, CSU und SPD mit knapp 80 Prozent gegen eine Opposition von Linken und Grünen von etwas mehr als 20 Prozent. Es wird eine Opposition nahezu ohne Einfluss sein. Die parlamentarische Demokratie aber lebt von der Auseinandersetzung eines ausbalancierten Gewichts der Kräfte: hier die Koalition mit ihrer passablen bis knappen Mehrheit, dort die Opposition mit ihrer nennenswerten bis gewichtigen Minderheit. Davon können Linke (Wahlergebnis 8,6 Prozent) und Grüne (8,4 Prozent) noch nicht einmal träumen, so hart wird ihr Alltag im parlamentarischen Betrieb.

Zugegeben, das Grundgesetz macht nun einmal keine Vorgaben für die Machtverhältnisse im Bundestag. Diese machen letztlich die Wähler beziehungsweise die politischen Parteien mit ihrer Interpretation des Wahlergebnisses. Für die Opposition gibt es keine grundgesetzliche Forderung einer Mindestgröße. Die Opposition ist so groß oder so klein, wie die Wähler es bestimmt haben. Für Linke und Grüne im Bundestag bedeutet das: Sie sind auch zusammen deutlich zu klein, um die sogenannten Großen zu treiben oder wirksam zu kontrollieren.

Linke und Grüne brauchten 25 Prozent, um einen Untersuchungsausschuss einzuberufen. Und sie brauchten ebenfalls 25 Prozent, um beim Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen, ob ein Gesetz verfassungskonform ist. Wollten sie den Bundestag einberufen, brauchten sie dazu sogar ein Drittel seiner Mitglieder.

Wenn CDU, CSU und SPD jetzt der Opposition mehr Redezeit einräumen, ist dies ein Signal: Linke und Grüne sollen künftig 16 Minuten statt jener zwölf Minuten pro 60 Minuten Redezeit haben, wie es ihnen nach dem Wahlergebnis zugestanden wäre. 16 Minuten sind in diesem Fall etwas mehr als 25 Prozent. Das hat die Folge, dass sich Debatten künftig etwas weniger anhören, als liefe gerade das Selbstgespräch der großen Koalition.

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