Kommentar Pflegereform - Die Richtung stimmt

Die Bundesregierung bringt heute die erste Stufe ihrer Reformvorhaben bei der Pflege in den Bundestag ein. Die Leistungsbeträge werden um vier Prozent erhöht, Kurzzeit- und Verhinderungspflege sollen ausgebaut und besser kombinierbar ausgestaltet werden. Wer kurzfristig die Pflege eines Angehörigen organisieren muss, soll eine Lohnersatzleistung für eine zehntägige bezahlte Auszeit vom Beruf erhalten.

Noch in dieser Legislaturperiode soll zudem der zweite Schritt folgen: Ein neuer Begriff der Pflegebedürftigkeit soll garantieren, dass Demenzerkrankungen, die erheblichen Pflegeaufwand für Angehörige und berufliches Fachpersonal nach sich ziehen, besser berücksichtigt werden können. Nichts davon ist überflüssig, und nur im Detail kann Kritik ansetzen.

Vielleicht aber ist es angemessener, die Reform daran zu messen, was nicht oder nicht genügend angegangen wird. Ja, es wird Verbesserungen bei der häuslichen Pflege geben. Aber dem stehen bei der Situation der Heimpflege keine entsprechenden Veränderungen gegenüber. Es wird keine konkreten Personalschlüssel geben.

Die angespannte personelle Ausstattung kann so leichter überspielt werden. Vor allem aber bleibt die Qualität der geleisteten Heimpflege schwer einschätzbar. Das ist keine Nebensache. Es ist die praktische und vielfach bedrückende Lebenserfahrung vieler Menschen, dass die Qualität der Pflege-Einrichtungen extrem unterschiedlich sein kann.

Der Pflege-TÜV ist kaum aussagekräftig, weil er statt konkreter Ergebnisse ganz buchhalterisch Dokumentationen prüft, und die veröffentlichten Benotungen sind so absurd hoch, dass sie keinen praktischen Aussagewert haben.

Bei den Kliniken beschreitet die Politik gerade einen anderen Weg. Ein unabhängiges Qualitätsinstitut soll durch seine Analysen für eine bessere Vergleichbarkeit und für transparente Bewertungen sorgen. Man kann sich darüber streiten, ob dieses Institut tatsächlich so unabhängig ist, wenn es unter der Aufsicht des Gemeinsamen Bundesausschusses steht, also im Interessenkartell von Krankenhausgesellschaft und Kassenärzten verbleibt.

Aber immerhin, die Wissenschaftler werden Wege finden können, ihre Untersuchungen möglichst frei von Einflussnahme zu gestalten. Warum gibt es das nicht für die Pflegeeinrichtungen? Es wäre die Grundlage, um gut arbeitende Pflegeheime zu belohnen. Bessere Qualität durch handfeste finanzielle oder personelle Vorteile - das klänge praxistauglich. Die Vermutung liegt nahe, dass allzu viel Klarheit derzeit gar nicht erwünscht ist. Denn Transparenz würde den ganzen Handlungsbedarf offenkundig machen.

In diesem Zusammenhang ist es sehr vernünftig, eine Reserve aufzubauen, um dem anwachsenden Pflegebedarf Rechnung zu tragen. Es ist ziemlich fahrlässig, wenn Teile der SPD das Geld lieber gleich verfrühstücken wollen. Lohnender wäre es, darüber nachzudenken, wie die Reserve in künftigen Jahren vor dem ständig drohenden Zugriff durch die Politik geschützt werden kann.

Pflege ist ein Mega-Thema. Mit einem Reformpaket kann keine Regierung alle Probleme dauerhaft lösen. Und staatlichen Bemühungen muss private Vorsorge gegenüberstehen. Diese Debatten haben gerade erst begonnen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Die Lage ist ernst
Kommentar zur islamistischen Bedrohung Die Lage ist ernst
Euphorie im Anflug
DFB-Team überzeugt gegen Frankreich Euphorie im Anflug
Zum Thema
Kosten über Sicherheit
Kommentar zum Einsturz der Brücke in Baltimore Kosten über Sicherheit
DFB-Team mit neuem Spirit
Kommentar zur Fußball-Nationalmannschaft DFB-Team mit neuem Spirit
Assange und das Recht
Kommentar zur aufgeschobenen Auslieferung Assange und das Recht
Aus dem Ressort