Kommentar Piraten in der Krise - Verfrühte Nachrufe

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Wenn echte Piraten auf den Weltmeeren so vorgehen würden wie die Piratenpartei in Deutschland, wären sie mangels Beute längst verhungert. Denn die immer noch junge Partei tut alles, um nicht erfolgreich zu sein. Wobei schon die Behauptung, die Piraten seien eine Partei, gewagt ist. Wenn an diesem Wochenende der Parteitag in Bochum zusammenkommt, hat keiner eine Ahnung, wie viele Piraten daran teilnehmen werden. Denn Delegierte gibt es nicht. Wer Beitrag zahlt, kann kommen und ist voll stimmberechtigt.

Das ist anders als bei anderen Parteien. Aber vieles ist halt genauso. Hatten die Grünen in ihren Gründungsjahren das Thema Umweltschutz, das sie zusammenhielt oder - hochtrabender - das ihre Identität stiftete, so ist das bei den Piraten das Netz, das Internet. Aber damit ist das einigende Band schon beschrieben. Denn was zum Beispiel im Netz erlaubt sein soll, wie weit die persönlichen Datenschutzrechte und die individuellen Freiheits- (gleich Beuterechte) gehen dürfen, darüber schon gibt es keinen Konsens.

Auch den Grünen ist vor Jahrzehnten vorgehalten worden, sie seien eine Ein-Themen-Partei. Das hat sich in doppeltem Sinne gelegt. Andere Parteien haben sich des Umweltgedankens angenommen, und neue Themenschwerpunkte kamen bei den Grünen hinzu. So wird es auch bei den Piraten sein: Das Netz erobert auch die anderen Parteien und an diesem Wochenende wird der Piratenparteitag manches thematische Loch schließen, etwa in der Wirtschafts- oder Sicherheitspolitik. "Mut zur Lücke" wird jedenfalls kein dauerhaftes Motto der Partei sein.

Was sie von anderen Parteien nicht unterscheidet, ist ihre schier grenzenlose Lust an der persönlichen Zerfleischung. Der Bundesvorstand hat sich in dem halben Jahr seines Bestehens fast selbst zerlegt, die Harmonieschwüre zwischen Vorsitzendem und Geschäftsführer kurz vor diesem Wochenende wirken aufgesetzt und deshalb unglaubwürdig. Modernes Marketing, auch Parteimarketing, weiß: ohne Köpfe keine Themen.

Deshalb ist der Versuch, nur über Themen Erfolg zu haben, schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt, erst recht, wenn man die Themen nicht eindeutig gewichtet. Es rächt sich, dass die junge Partei mit Marina Weisband ihr erfolgreichstes Gesicht ziehen ließ - und es spricht einiges dafür, dass sie zur Bundestagswahl wieder da sein wird.

Themen Fehlanzeige, Personal Fehlanzeige und trotzdem auf Erfolgskurs? Die Umfragen sprechen dagegen. Längst dümpeln die Piraten nach ihrem Einzug in die Parlamente von Berlin, Schleswig-Holstein, NRW und dem Saarland an der Fünf-Prozent-Hürde. Doch Nachrufe sind verfrüht. Es gibt viel zu viele Menschen, denen der herkömmliche Politikstil zuwider ist. Das ist und bleibt das Potenzial, aus dem Piraten schöpfen. Trotz aller Defizite.

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