Kommentar Rechtsextremer Terror - Bankrott-Erklärung

Der 9. November 1938 steht für eines der schwärzesten Kapitel in der deutschen Geschichte. Es erinnert an die barbarische Zerstörung von Existenzen jüdischer Mitbürger durch die Nazi-Schergen; gefolgt von systematischer Vertreibung und Kriegstreiberei.

Der braune Spuk endete erst sieben Jahre nach der Pogromnacht. Deutschland war restlos am Ende - moralisch, militärisch und wirtschaftlich. Wenn die 1945 erwogenen Pläne zur Deindustrialisierung Restdeutschlands Realität geworden wären, würden wir heute nicht in dem Wohlstand leben, der dem geeinten Deutschland vergönnt ist.

Die Gefahr des Rechtsextremismus ist danach zu einer Randerscheinung degeneriert. Gewiss: Es gab braune Kader, die aber in der Bonner Demokratie lange keine Rolle spielten. Ende der 1960er Jahre bestand erstmals die Gefahr, dass mit der NPD eine rechtsradikale Partei in den Bundestag einziehen könnte.

Dies scheiterte äußerst knapp. Die Republik wurde fortan vom Linksterrorismus in Atem gehalten. Der Rechtsradikalismus wurde erst wieder nach der deutschen Einheit zu einem größeren Problem. Die Neonazis hatten gezielt in sozial schwachen Regionen die Menschen angesprochen und - Wahlergebnisse belegen dies - erfolgreich gegen die für die Ostdeutschen ungewohnte Demokratie agitiert.

Diesen Hintergrund kennen auch die Verfassungsschützer und MAD-Gesandten, die sich in einem Schredder-Stakkato zur groß angelegten Vernichtung von Unterlagen bekannt haben. Deren Erhalt wäre für das Gerichtsverfahren gegen Beate Zschäpe, gegen die gestern Anklage erhoben wurde, juristisch von ungeheurer Bedeutung gewesen.

Als ob die albern wirkenden Begründungen für die Beweismittel-Vernichtung nicht schon haarsträubend genug wären, irritiert der Bundesinnenminister die staunende Öffentlichkeit mit seiner Forderung nach einem "Neuanfang" im Kampf gegen den Rechtsterrorismus. Das kann doch nur heißen, dass die bisherige Haltung von Bund und Ländern völlig unzureichend war. Was für eine Bankrott-Erklärung.

Insgesamt vier parlamentarische Untersuchungsausschüsse befassen sich inzwischen mit dem katastrophalen Bild, das die Ermittlungsbehörden in den Jahren der NSU-Mordserie hinterlassen haben.

Dabei ist nicht so wichtig, dass sie sich bei der Spurensuche einmal irren dürfen. Das Gefühl bleibt, dass man zu keiner Zeit den Eindruck hatte, den Ermittlungen liege ein Konzept zugrunde. Die V-Leute, die von der Kölner Schlapphut-Zentrale recht großzügig alimentiert werden, haben über die geplante Mordserie mit keiner Silbe vorab informiert.

Über diesen Skandal hat das Gericht, das im Fall Zschäpe zu urteilen haben wird, nicht zu befinden. Das ist Sache der deutschen Innen- und Rechtspolitik.

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