Kommentar Regierungsbildung in NRW - Ehrgeiz fehlt

Auf 195 Seiten haben SPD und Grüne in Nordrhein-Westfalen also nun alles aufgeschrieben, was ihnen wichtig ist. Von der Bildung bis zur Umwelt, von der Wirtschaft bis zur Gesundheit, von der Arbeit bis zum Verkehr.

Aus allen wesentlichen Politikbereichen haben die Experten der Parteien wohlfeile Sätze formuliert - doch eines fehlt: eine realistische Strategie, wie das Land von dem immensen Schuldenberg herunterkommen kann.

Im allerletzten Kapitel des Koalitionsvertrags finden sich zwar sechs Seiten, auf denen beide Partner erklären, dass die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte "unser Ziel" ist. Dort ist auch detailreich beschrieben, wie schwierig es doch ist, Sparmöglichkeiten ausfindig zu machen.

Doch dann wird die Schuld für die desolate Finanzsituation des Landes vor allem an Maßnahmen des Bundes aus den vergangenen Jahren festgemacht. Erleichterungen könnten mithin auch nur von dort kommen, sprich durch Einnahmeverbesserungen gelingen. Das allerdings ist zu wenig.

Es reicht einfach nicht, darauf zu verweisen, dass man im Bund neue Steuern einführen oder alte reaktivieren will, wenn man die Mehrheiten dafür hat. Ein bisschen ehrgeiziger könnten SPD und Grüne angesichts der derzeit historisch hohen Steuereinnahmen schon sein.

Beide Parteien lobten am Dienstag bei der Präsentation ihres Vertrags zwar die gute Atmosphäre der Verhandlungen, doch das war nur die halbe Wahrheit. Immer wieder versuchte die SPD ihr gewachsenes politisches Gewicht zu nutzen. Zugleich stellten sich die Grünen stur. Heraus kam manch Unkonkretes: bei der Beitragsfreiheit für das nächste Kita-Jahr, bei der Frage nach der Inbetriebnahme der modernen Kohlekraftwerke in Datteln und Lünen oder auch bei den Kompetenzen für die Energiewende.

Nun soll also die Ministerpräsidentin selbst die sich abzeichnenden Streitpunkte zwischen dem künftigen roten Energieminister und dem grünen Umweltminister aus dem Weg räumen. Wer die Beharrlichkeit eines Johannes Remmel kennt, weiß, dass die SPD-Kollegen hier oft auf Granit beißen werden.

Im Wahlkampf hat Hannelore Kraft in der Bevölkerung vor allem dadurch gepunktet, dass sie im Gegensatz zu ihrem Herausforderer Norbert Röttgen authentisch wirkte. In den nächsten fünf Jahren wird sie unter Beweis stellen müssen, dass sie die ihr verliehene eigene Mehrheit nutzen kann, um das Land voranzubringen. Ob das mit dem Koalitionsvertrag als Orientierung gelingt. Zweifel sind durchaus angebracht.

Und die Opposition? Sie wird es Rot-Grün nicht leicht machen. Die Debatte um die WestLB in der vorigen Woche hat deutlich gemacht, dass sich FDP und Piraten nicht verstecken werden. Die CDU wird es schwer haben, zwischen den beiden Fraktionen überhaupt Gehör zu finden.

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