Kommentar zum neuen Führungsduo der SPD Risiko und Chance

Meinung | Berlin · Mit der Wahl des neuen SPD-Führungsduos Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken droht eine Regierungskrise in Berlin. Die Wahl ist keine Katastrophe, sondern ein Wagnis und eine Chance zugleich, kommentiert GA-Redakteur Nils Rüdel.

 Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken winken nach der Bekanntgabe des Ergebnisses der Abstimmung zum SPD-Vorsitz im Willy-Brandt-Haus.

Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken winken nach der Bekanntgabe des Ergebnisses der Abstimmung zum SPD-Vorsitz im Willy-Brandt-Haus.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Der Ausgang des Mitgliederentscheids zur künftigen SPD-Spitze kommt einem politischen Beben gleich. Für finale Abgesänge auf die Sozialdemokraten und Krokodilstränen der politischen Gegner aber ist es noch zu früh. Die Wahl von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans ist keine Katastrophe. Sie ist für die Genossen ein Wagnis und eine Chance zugleich.

Sicher, die beiden designierten Vorsitzenden haben bei ihrer Aufgabe, die SPD neu zu beleben und zu einen, im Moment alle Wahrscheinlichkeiten gegen sich. Es mangelt an Charisma, Erfahrung und Rückhalt in Parteiführung und Bundestagsfraktion. Und dennoch möchte man rufen: Lasst sie doch erst einmal machen.

Wie bisher konnte es jedenfalls, das zeigt das Mitgliedervotum, nicht weitergehen. An der Basis ist angesichts des Jahre andauernden Niedergangs der SPD die Sehnsucht nach Veränderung überbordend groß. Die Nicht-Wahl des erfahrenen Finanzministers Olaf Scholz und seiner Partnerin Klara Geywitz, der personifizierten Groko-Vernunft, zeigt: Sie wurden nicht als Teil der Lösung angesehen, sondern als Teil des Problems. Die Botschaft der Mehrheit, die sich am Mitgliederentscheid beteiligt haben, ist deshalb klar: Alles, bloß kein Weiter-so! Wenn das in letzter Konsequenz heißt: Raus aus der großen Koalition, dann ist das eben so.

Scholz und Geywitz werden als Wiedergänger der Pragmatiker Franz Müntefering, Kurt Beck, Sigmar Gabriel, Martin Schulz und Andrea Nahles angesehen. Unter deren Ägide ging es bei Wahlen und in den Umfragen immer nur weiter bergab – trotz Erfolgen wie Mindestlohn, Rente mit 63, Mietpreisbremse oder zuletzt der Grundrente. Die SPD wurde dafür nicht belohnt. Sie verkaufte sich auch schlecht, sie haderte bis zum Selbsthass mit den Agenda-Reformen, statt sich für deren Erfolge feiern zu lassen. Das Bündnis mit der Union empfand sie zunehmend als Zwangsjacke und es fiel den Handelnden immer schwerer zu begründen, warum es die SPD überhaupt noch braucht.

Mit Esken und Walter-Borjans wählten die Genossen nun die Disruption. Hauptsache etwas anderes! Ein hohes Risiko, denn die Erwartung ist jetzt, dass die beiden Neuen einen klaren Linkskurs einschlagen, der Union harte Nachforderungen stellen und – bei wahrscheinlicher Nichterfüllung – die Groko platzen lassen.

Das kann die SPD zerreißen und noch weiter Richtung Abgrund treiben – oder aber dazu führen, dass die Partei tatsächlich neues  Selbstbewusstsein erlangt, überzeugende sozialdemokratische Lösungen für die Folgen der Digitalisierung, für Bildung oder den Klimawandel findet und sich wieder unterscheidbar macht. So oder so: Die SPD lebt noch.

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